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Editorial Der Sieger stellt sich vor das Publikum und holt sich unter Applaus einen runter. Dies geschieht symbolisch, mit Hilfe einer Magnum Champagnerflasche und wird heute, durch sich selbst Bier über den Kopf schütten, ersetzt. Bei allem dieser neuen Geste zugestandenen kindlichen Experimentiereifer, wird mit der Verschiebung die klassische sexuelle Geste unlesbar. Sich selbst auf den Kopf pissen kann man nicht, dafür benötigt es Andere. Aus dem früheren Bild ist die Sexualität entfernt worden. Und dieses Bild teilt sein Schicksal mit vielen vor ihm. Und vielen Worten. Am prominentesten vielleicht die Worte denzentriert, molekular und organlos des Anti-Ödipus, diesem Klassiker des Begehrens,in deren Anwendungen alle sexuellen Hinweise so gründlich entfernt wurden, dass ihre Bedeutungen ungefähr bei disparat, atomisiert und körperlos angekommen sind. War all das nicht geschrieben worden, um der Leidenschaft eine Form, eine Farbe und eine Intensität zu geben? Man verliert sich in seinem Leben, in dem, was man schreibt, in dem Film, den man dreht, wenn man nach der Identität der Sache fragt. Es geht darum, etwas hervorzubringen, das zwischen den Ideen geschieht und das man nicht benennen kann. Man muss vielmehr ständig versuchen, ihm eine Farbe, eine Form, eine Intensität zu geben, die niemals sagt, was sie ist. Der Wunsch nach Ordnung und zuordenbaren Identitäten verpaßt der Sexualität, in dem sie sie ökonomisch begründet und ihr einen klaren Ablaufplan und ein Ziel gibt, einen Büroarbeitsplatz. Welches Interesse könnte man dafür haben? Noch mehr Abläufe, noch mehr Scripts, noch mehr Rollen und noch mehr vorgefertigte Bilder. Wo wäre darin die Notwendigkeit, der Bewegung Bedeutung zu geben, die nicht durch Institutionen abgesicherte Personen einander näher bringt? Nämlich eine Bewegung, die sich von A bis Z selbst erfinden muß, und eben kein institutionelles Ziel und keinen verscripteten Ablauf kennt. Und damit aber einen Topos beschreiben könnte, einen Ort, ohne daß sich allerdings daraus eine Regel machen ließe. Diese Begegnung kann ja auch schief gehen. Einfach konsumierbare Bilder, wie Ehe oder Pornografie werden nicht helfen. Auch der begriff queer hat auf dem Weg zum Modelabel seine nicht in Muster zu übersetzende Verankerung im Begehren des Anderen verloren und befindet sich auf dem steilen Abhang von einem relationalen zu einem identitären Begrif. Für den leichteren Kosum Wörter über jene Begegnung zu stülpen, macht sie nur scheinbar safe, in dem sie sie normalisiert, bis keine Beunruhigung mehr darin liegt. In dieser Begegnung ist aber nicht alles gleich. Das Andere, das wir begehren, wird auch in der Leidenschaft nicht mehr zum Selbst. Wie gut. Was ist Leidenschaft ? Es ist ein Zustand, etwas, das dich überkommt, das sich deiner bemächtigt, das dich festhält, das keine Pause kennt und keinen Ursprung hat. Tatsächlich weiss man nicht, woher das kommt. Die Leidenschaft ist einfach da. Es ist ein Zustand, der sich ständig verändert, aber keinem bestimmten Ziel zustrebt. Es gibt starke Momente und schwache Momente, und es gibt Augenblicke, in denen sie zur Weissglut gelangt. Es treibt dahin. Es schaukelt. Ein instabiler Augenblick, der aus dunklen Gründen weitergeht, vielleicht aus Trägheit. Es sucht letztlich sich zu erhalten und zu verschwinden. Die Leidenschaft tut alles, um fortzubestehen, und zugleich zerstört sie sich selbst. In der Leidenschaft sind wir nicht blind. In leidenschaftlichen Augenblicken sind wir nur nicht mehr wir selbst. Es hat keinen Sinn mehr, wir selbst zu sein. Man sieht die Dinge ganz anders. |
Starship Nummer 10, Seite 3 |
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