Ingo Niermann

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Der Sexismus scheint endlich nicht mehr nur hohl, sondern ganz und gar leer. Traurig dagegen die nicht endenden Hommagen an House, Electro und Disco, die das alles so oft schon weit hinter sich gelassen hatten, und die man nun mit ein bißchen Hihi und dünnem historizistischen Faden nicht einzuholen, sondern zu ersticken sucht.

Die schnellen Abläufe der letzten zehn Jahre sind angetrieben von der Aneignung längst vorhandener Möglichkeiten. Filter, Pitch, Hall, Timestretch, die Rolandreihe - immer wieder haben einfache Kniffe in der Anwendung alles noch einmal erneuert.

Viele Videos heute sehen aus, als warteten sie längst oder als mühten sie sich anstelle der Musik, eine neue Struktur und Klänge, so penetrant wie slick, zu suggerieren. Wie jämmerlich dagegen ist die Suche nach neuen Ressourcen in den Geräuschen der Umgebung ausgefallen. Wie absehbar die Enttäuschung über Drum & Bass, der eine Komplexität vorlegt, die, gefangen in der Starrheit von Takt und Tempo und dem Bearbeiten reichlich bekannter Töne, nach einer exponentiellen Entfaltung verlangt, die weder tanz- noch genießbar ist.

 

Perfektion. 1982, das Jahr von Elektro, dem raffinierten Funkderivat, das Jahr raffinierter Discoderivate, das Jahr, in dem sich New Wave von Punk so weit wie möglich entfernt. Stolz weist Pop auf seine Haltlosigkeit. Heute können die Moden vielleicht schneller wechseln. Doch ebenso schnell werden Traditionen behauptet. Mit jedem Retro werden Felsen gesichtet, die wieder Bestand zu haben scheinen.

1982 ist Trevor Horn Englands Produzent des Jahres und England bedeutet wenigstens Europa. Er hat die 70er hindurch reichlich erfolglos als Produzent und Musiker gearbeitet. Es ist die Zeit des Bombastrocks, der Rocksymphonien, später hat er sogar für Yes gesungen. Doch er sieht sich an den Rand gedrängt, dann von Punk niedergedrückt. Er gründet ein eigenes Duo, Bubbles, und hat 1979 einen Hit: Video Killed the Radio Star. Es ist kein New Wave, eher ein reformatorischer Rock’n Roll, ein wenig Boogie Woogie und gar nicht viel anders als Suzi Quatro.

Die zweite LP, die weiteren Stücke floppen. Ihre drögen Texte persiflieren die technoide Warenwelt. Eine Affirmation, die sich nicht traut.
Unmittelbar darauf produziert er jedoch Dollar und ABC, bereitet Spandau Ballet nach und bedient sich dabei aller Studiotechniken, die in den späten 9Oern Relevanz haben. Er sampelt Dollars Stimmen und läßt sie auf dem Keyboard spielen. Er will das zugleich kostspieligste, erfolgreichste und beste Produkt liefern. Sein Verlag heißt "Perfect Songs".

1983 gründet er Zang Tuum Tumb, ZTT, zusammen mit Paul Morley. Sie erwecken das Texter-Musiker-Duo, das mit dem Autorenrock und dem sich vom Song befreienden Funk und Disco erstarb, neu als Produzententeam. Die Künstler schreiben ihre Musik und Texte selbst, doch das urheberrechtlich erfaßte Material wirkt ohnmächtig gegenüber Horns Maschinerie, die die Künstler für die Zukunft ersterben läßt. Ihre erste Platte bei ZTT ist ihr letztendlicher Erfolg.