Dany Mueller

(2)

Sie fürchtete, auch an diesem Fall würden es wieder einmal ganz andere Dinge sein, die ihr Interesse weckten, als den Täter zu finden. Andererseits hatte sie sich oft genug in das richtige Detail verliebt und war so zum Ziel gekommen. In diesem Moment schellte ihr Handy. Sie drückte die Empfangstaste. Robert, ihr Assistent, war am anderen Ende und begann sofort zu sprechen: "Die Leiche von heute früh entwickelt sich zu einem dicken Fisch. Hier hat schon ein halbes Dutzend Journalisten angerufen. Wo steckst Du überhaupt?"

"Ich war in der Galerie."

"Die sagten, Du seiest schon länger weg. Wo bist Du eigentlich, das brummt ja wie blöd." Hanna zuckte zusammen, sie beendete das Gespräch schnell aus Angst vor dem verräterischen Klingeln der abgelaufenen Sonnenbankzeit.

Sie glaubte, sich heute schon ein dickes Fell zugelegt zu haben und beschloß nun, Seven Smith anzurufen. Smith war eine der mythischen Figuren ihrer Jugend gewesen. Noch heute besuchte sie manchmal in der Frühstückspause eine seiner Webpages im Internet.
Die Geheimnummer hatte sie in der Galerie von Anne Fecter bekommen. Sie rief von der Straße aus einer Telefonzelle an. Als sie eben wieder einhängen wollte, erklang am anderen Ende der Leitung eine freundliche Stimme: "Ja bitte". Hanna, korrekt mit Nennung ihres Dienstgrads, erklärte ihm den Sachverhalt. Zu ihrer Überraschung war Seven Smith sofort zu einem Gespräch bereit. Smiths Penthouse lag mitten in der Londoner City. Sie drückte auf dem namenlosen Klingelschild das vereinbarte Zeichen. Nach einigen Sekunden ertönte das Schnarren des Türöffners.

Smith stand in der Tür, als sie oben ankam. Sie hatte sieben seiner Platten und sie mochte seinen Händedruck. "Unangenehme Angelegenheit", sagte er. Hanna blickte sich interessiert im Raum um. Das war offensichtlich kein Ort, an dem jemand wohnte. Sie erinnerte sich gelesen zu haben, daß er am Land lebte. Kinder, von Kindern hatte sie gelesen. Der Raum, in den sie geführt wurde, schien unbewohnt, so, als wäre er vor einer halben Stunde das erste Mal betreten worden.

 

"Kannten Sie Borghaus schon länger?"

"Dann hätten wir gestern wohl kaum miteinander gesprochen."

Hier wurde sie nicht mit Freundlichkeiten aufgehalten. Smith schien nicht viel von Ole Borghaus zu halten.

"Sie mochten ihn nicht?"

Smith sah sie zweifelnd an. In Wirklichkeit konnte er sich an Borghaus kaum erinnern. Es schien ihm, als könne er sich an kaum jemand erinnern, den er in den letzten Jahren angeblich kennengelernt hatte. Manchmal kam es ihm vor, als sei damals bei der Blutwäsche in dem Schweizer Sanatorium ein Fehler passiert. Eine fremde Person hatte seinen Körper betreten und seitdem mußte er, ob er wollte oder nicht, sich mit ihr auseinandersetzen, was einen Großteil seiner Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

"Er war laut. Er war, glaube ich, schrecklich betrunken."

Darüber wollte Hanna mehr wissen.

Aber Seven Smith, der auch das nur mehr wußte, weil Borghaus ihm den Weg versperrt hatte, als er gehen wollte, konnte ihr nicht mehr sagen.

Wenn er abends ausging, was nur noch selten vorkam, gab es immer jemanden, der sich am Boden wälzte, jemand, der nach jemanden trat, Geschrei. Er hatte angefangen, sich für Kunst zu interessieren, weil ihm dieses Gehabe so wenigstens einen Rahmen zu haben schien. Es ging um etwas, um Kunst, um Machtzuwachs, von dem er annahm, daß er eine ideelle Seite hätte.

"Besitzen Sie eine Arbeit von Ines Cremer?" fragte Hanna.

Ja, er hatte auch Cremer.

Er bedauerte, das meiste war auf dem Land. Aber es gab doch einiges, was er ihr gern zeigen wollte.

Hanna, die ihn nur auf den Mordfall zurückbringen hatte wollen, fand sich plötzlich im Nebenraum, einem langen Monolog gegenüber, angefüllt mit Namen, die sie nicht kannte.

Sie sah zerschnittene Kühe, Bilder aus Handabdrücken, Schaufensterpuppen mit Genitalien im Gesicht, schwimmende Basketbälle, zerfledderte Kostüme, wie aus einem Spielfilm geliehen. Beine ragten aus der Wand, Bonbons lagen am Boden. Sie ging verwirrt.