„Die Beute“ - Relaunch
NEUE FOLGE Erscheinung
Wenn es heute, fünf, sechs Jahre nach den Wohlfahrtsausschüssen ein paar Dinge gibt, die noch oder wieder einmal durchdekliniert werden müßten, dann wäre dies erstens das Verhältnis der Linken zum Kunstmarkt und zweitens die Frage, wer von wo aus zu wem über was spricht: zum einen, was die Politikseite von der Kunst will und zum anderen, was die Kunstseite von der Politik will.
Auf der Ebene der Repräsentationskultur ist Punkt 2 nicht so schwer zu beantworten, wie dies Jost Müller in seiner material- und argumentationsdichten Rückschau auf die Ausstellung ‘Deutschlandbilder’ leistet. An exemplarischen Arbeiten wird in „Nationales Management im Kulturbetrieb“ die semantische Gewalttätigkeit vorgeführt, mit der auch solche KünstlerInnen in die zu einem ‘ gesamtdeutschen’ Kunstgeschichtsmythos umgeschriebenen Positionen hineinvereinnahmt werden, die schon von ihrem Selbstverständnis her konträr zu jedweder nationalen Identitätslogik liegen.
Wie Künstler einer solchen Logik jedoch ihrerseits zuarbeiten, weist Müller an der Verarbeitung mythenfähiger Wehleidigkeitsikonographien nach (Schmerzensmann, Zeige deine Wunde).
Die Beute Neue Folge mit "Kunst und Politik. Subversion des Kulturmanagements" zu betiteln, hebt jedoch nicht so sehr auf die Repräsentationskultur der neuen Berliner Republik ab, sondern auf subkulturelle Knotenpunkte. Während die alte Beute den Spagat von der Politik aus versuchte, scheint die Neue die Seiten gewechselt zu haben. Aus der neuen Folge ist zu erfahren, daß hinter solchen Perspektivwechseln nicht zuletzt auch unvereinbare Auffassungen von Redaktionsarbeit stecken. Mit ein paar väterlichstrengen Ohrfeigen werden im Editorial Mitglieder des alten Redaktionskollektivs seitens der neuen Herausgeber und ehemaligen Redakteure, Andreas Fanizadeh und Roberto Ohrt, bedacht: Deren „ ich- deute- an- spreche- aber- nichts- aus“-Gestus entlarvt sich in Unterstellungen gegenüber ihren Ex-KollegInnen. Diese hatten in einem nun auch in der neuen Beute abgedruckten Rundschreiben an die AbonnentInnen ihre Version über das Ende des alten Redaktionskollektivs dargelegt.
Unabhängig davon, wie man zu der öffentlichen Preisgabe von Redaktionsinterna steht, kann dem Brief kein Hang zum Waschen schmutziger Wäsche nachgesagt werden (welches in der Medienwelt bekanntlich den Absatzzahlen dienen soll). Aber die Unterzeichnenden haben der Editoriallogik zufolge solche Verkaufstricks nun nicht mehr nötig. „Wer kennt diesen Brief noch nicht“ findet sich in der Rubrik Transcontinental (Ex-1000 Zeichen) unter ferner liefen, Punkt 7. Aus der Erklärung ist zu erfahren, daß sich nur eins der beiden „Lager“ der alten Redaktion dafür ausgesprochen hatte, was der ID Verlag Berlin nun beabsichtigt: „Die Beute als Verlagszeitschrift mit Chefredaktion und wechselnden Lektoren weiterzuführen.“ Gegen das Delegationsprinzip beinhalte „linke Politik“ für sie jedoch, „(schon in der Gegenwart) antiautoritäre Strukturen zu schaffen und auch zu ertragen.“ (S.227f.) Abgesehen von jeweils unklar bleibenden Andeutungen des Vorgefallenen, spricht der Ve rgleich der (Selbst-) Erklärungen der alten und der alt/neuen Redaktion für sich und für ein Problem, dessen sich Diedrich Diederichsen in seinem Beute-Beitrag widmet. Sein Tip, auf die Vorteile ritueller Freundlichkeit auch unter Linken nicht zu verzichten, hat die erste Ausabe der neuen Beute jedenfalls nicht erreicht.
ich deute an, spreche aber nicht aus
Alle visuellen Hebel der neuen Beute - Cover, Layout - sind auf einen fortschrittlichen Anti- Linksmuff- Appeal gestellt, der jedoch auch schon die ersten vier Jahrgänge kennzeichnete. Neben Collagen und Zeichnungen von Akademie- Isotrop - Mitgliedern Birgit Megerle, André Butzer, Jonathan Meese u.a., die ‘mal mehr, ‘mal weniger kokett mit dem Vatergenerations-S.I.-Komplexitäts- Style spielen, finden sich - nicht immer nachvollziehbar aneinandergereiht - Werbeimages, Filmstills und Jugendkulturfotografie.
Gelegentlich ergeben sie (absichtlich, ungewollt?) wie im Fall des Filmstills ‘Flesh’, auf dessen gegenüberliegender Seite eine Fotografie von Martin Kippenberger zu sehen ist, bizarre Kombinationen: Auf gleicher Höhe mit dem halbnackten Frauenpo aus ‘Flesh’ befindet sich die mit gespreizten Fingern zugehaltene Nase des in Hemd, Schlips und Anzugjacke gekleideten Künstlers.
Während sich die auf dem Filmstill zu sehenden Figuren offensiv dem Blick preisgeben, ist der Blick des Künstlers nach innen gekehrt: Hier ein Haufen popkultureller Körper, dort ein illuminierter Kopf (dessen Spirit die Beute auch an anderen Stellen zu atmen sucht). Die Fotos sind Teil des sich durch das Heft ziehenden, zwischen Literarizität, Illustration und Eigensinn schwankenden Bilderbogens; der je spezifische Status der Abbildungen wird durch die eingefügte Digitalnumerierung jedoch wieder relativiert.
Ein kritisches Auge meinte neulich, auf diese Weise erhalte man den Eindruck, daß es sich bei den Bildern um lauter Monitore handelt. Was die anvisierte Gleichberechtigung von Bild und Text betrifft, fällt auf, daß - wie bei Inhaltverzeichnissen üblich - die Namen der AutorInnen auf der ersten Seite aufgeführt sind, während sich die Namen der Künstlerinnen unterschiedslos neben den Bildnachweisen auf der letzen Seite finden. Der ausdrückliche Anspruch der neuen Beute, dem instrumentellen Verhältnis von Politik und Kunst durch die Eigenständigkeit der Bildsprache entgegenzutreten, schlägt sich im Umgang mit den ProduzentInnen jedenfalls nicht nieder.
Dienstleistung wird nicht dadurch abgeschafft, indem man ihr die carte blanche in die Hand drückt. Als AutorInnen kommen ProduzentInnen nicht vor, sondern - wie in den Interviews mit El Pythonia, Christopher Wool, Sascha Anderson und Bernd Papenfuß - als talking heads.
Die laut Editorial zentralen Artikel für das Thema des Heftes - das „unglückliche Verhältnis zwischen politischer Linken und künstlerischer Opposition“ - stammen in der überwiegenden Zahl von eingeführten, hiesigen Autoren, zumeist aus dem akademischen Feld.
Gemäß einer solchen Redaktionsentscheidung geben feministische Beiträge zur ‘Inszenierte(n) Weiblichkeit bei Courtney Love und Janis Joplin von Gayle Wald („Eine von den Jungs“) und „The Possum, the Hag and the Rhinestone Cowboy“ von Barbara Ching die Ränder ab. In die hier&jetzt-Perspektive fallen also andere schillernden Phänomene, so Christoph Schlingensief, mit dessen Aufstieg und Noch-nicht-Fall sich Roberto Ohrt befaßt. Jenseits all der phänomenspezifischen Ambivalenzen, mit denen noch alle Schlingensief - KritikerInnen zu kämpfen hatten, bietet ‘Das Stolpern des Christoph Schlingensief ’ jede Menge genauer Detailbeobachtungen bis hin zu einer Konkretisierung der politischen Bedenken, die in der jüngsten Vergangenheit gegen medienwirksame Regressionen auf das Elend anderer angemeldet wurden. Der Beitrag ist vor allem an den Punkten gut, an denen er das Kokettieren mit ‘ich bin okay, du bist okay’-Anbiederungen und deren Ve rwechselungspotential mit status quosichernden Sozialtechniken kritisiert.
Einzuwenden, daß soziale Überschreitungs- und Solidarisierungsphantasien das One-way-Privileg derer sei, die diese aus einer gesellschaftlich erhöhten Position projizierten, unterschlägt allerdings die Aktivität der Menschen, die „ausgeplündert werden, bis sie in Lumpen auf den Straßen stehen.“(Ohrt). Der Aktion „Arme helfen Reichen“, an der sich u.a. die „subkulturelle Institution Golden Pudel Club mit dem Umfeld der Musikbands“ beteiligte, kann meiner Meinung nach nicht mit dem Argument abgehakt werden, daß sie zur Pazifizierung der in ‘ arm’ und ‘reich’ beibehaltenen Klassenantagonismen beitrage. Ohrt begeht damit genau den Systemfehler, den er Schlingensief und den Seinen vorwirft: Er stellt sich den in „Lumpen“ gekleideten Menschen als jemanden vor, der sein Leid ausschließlich authentisch erlebt, der keinen Begriff von den Inszenierungsstechniken des Lebens auf der Straße hat. Warum wer sich wie kleidet und gemeinsam mit anderen auf der Öffentlichkeit urbaner Räume besteht, ist immer auch Teil individueller Entscheidungen.
Und warum Leute den Wunsch haben, gesellschaftliche Festschreibungen zu ironisieren, indem sie sie auf betont unerträgliche Weise bedienen, ist ja nicht zuletzt ein Hinweis auf ihren Inszenierungsgehalt.
Das aber kommt bei Ohrt nicht vor und spaziert so - gegen das programmatische Selbstverständnis der Beute - als sozio-psychologischer ‘Realismus’ durch die Hintertür wieder herein.
Trotzdem gehört Ohrts Schlingensief- Kritik zu den differenzierten unter den bisher erschienenen. Nur richtet sie sich allzu sehr an die, deren aktivistische Ambitionen auf einen sich selbst in die Pflicht nehmenden Einsatz von Humor reduziert werden, um milde ihre Grenzen aufzeigen zu können. Es stellt sich die Frage, ob er seinen AdressatInnen damit einen Gefallen tut. Am Ende hat man eine Idee davon, wie es kommen konnte, daß gegen Sinnproduktion und schnelle Entzifferbarkeit gerichtete Symbolpolitiken, die einst an die Stelle von Kaderund Repräsentationspolitik traten, inzwischen Teil einer ebensolchen Sozialcollage geworden sind.
Wie diese lassen sich u.U. mit dem von Diedrich Diederichsen angesprochenen Automatismus erklären lassen („Von der Unmöglichkeit Politik zu machen, ohne Kultur zu betreiben“), erfährt man aus dem zweiten, laut Editorial zentralen Beitrag ‘Der Boden der Freundlichkeit’.
Er stellt den Versuch dar, ein paar Fäden über neuere Subjektvitätsforschung zusammenzubringen, an denen das „linksradikal politisierte Milieu“ derzeit entlangarbeitet: An den Vorzügen der Pop-Analyse eines neuen gesellschaftlichen Arbeitsbegriffs, in dem sich neue Job- und Freizeitstrukturen mit alten emanzipativen Subjektivitätsvorstellungen (mehr kultureller Zugang, mehr kreative Lockerheit, mehr individuelle Entfaltung für alle) bis zur Ununterscheidbarkeit verquicken. Polit-, Pop- und Kulturlinke kommen auf dem „Boden der Freundlichkeit“ da zusammen, wo sie sich in den vergangenen dreißig Jahren immer ‘mal wieder begegnet sind: In der Frisur des langhaarigen, kommunistischen Handverkäufers, im Sprachgestus der RAF, in der K-Gruppen- Vergangenheit von Managern etc.
Die Verkettungen solcher und anderer Beispiele mit nicht abbrechenden Diskussionen um die Aussagekraft von rechts/links-Unterscheidungen geben einen Speed vor, der allerdings viel zu eilig über die Debatte um die von PDSPolitikern mitgetragene Entscheidung gegen ein Heim für russische Juden hinwegrollt.
Wenn sich, wie im Fall der Beute, die Diskussionen um neue Formen eines (Gegen-)Populismus drehen, dann geht das nicht ohne eine Betrachtung einer radikalen (bürgerlichen) Mitte, in der sich rechte und linke Populismen mit staatlichen und alltäglichen Rassismen überschneiden. Was jedoch die nicht erst mit den Wohlfahrtsauschüssen und nicht zuletzt um der Feldtheorie willen aufrechterhaltene Unterscheidungen zwischen Polit-, Kultur- und Poplinken betrifft, so ziehen sich freundlich bunte Fäden in produktiver Verworrenheit durch all die Projektionen, Mißverständnisse und Schizo-Schübe, die wiederum bekannte Fixierungen, Vorurteile und Schuldzuweisungen - den „aktuellen Psychomüll der Linken“ - hervorgebracht haben.
Auf dem ‘Boden der Freundlichkeit’ finden sich viele unerprobte Nebenwege zu den bekannten Sackgassen von Kunst und Politik, über die Andreas Fanizadeh in ‘Bowling in Patagonien, Kegeln in Berlin’ zu reden verspricht. Die Qualität von Antifaschismus, Kunst und Alltagspraxis zu einer Frage des Realismusbegriffs zu erklären - wie dies Fanizadeh tut - geht wohl kaum ohne historische Bezüge.
Die aber werden an keiner Stelle geboten; statt dessen werden längst gelaufene, fünf bis acht Jahre alte Diskussionen auf schematische Anwürfe reduziert: So z.B. die Kritik an Übernahmen von Herrschaftsbildern seitens Konkret und Jungle World oder dem Festbeißen in einen „starren Gegenkanon“ seitens diverser Antifa-ÄsthetikerInnen.
Daß Fanizadeh im Sinne der Realismuskritik in einem Satz auch die „Schriftsprache“ der alten Beute erwähnt, legt mindestens zwei Deutungen nahe: damit uns unsere Kritik - wie schon so oft - am Ende nicht noch selber auf die Fü.e fällt, legen wir mit gleich mit in Klammern gesetzter Selbstkritik nach. Oder: Mit dem Fucking-Polit-Realismus räumt die neue Beute jetzt endgültig auf - ebenso wie mit den Fehlern, die nun die der anderen - die der Ex- Beute - sind.
Was die Kritik an den „ideologischästhetischen Konzeptionen der Superlinken- Kunstfraktion“ betrifft - die auch die Verfasserin mitmeinenden Vorwürfe reichen von Akademismus, über Karrierismus, reduktionistischer Zettelästhetik bis hin zu öffentlichkeitsimmuner Kunstpraxis -, ist mit der Realismusdiskussion nur noch mit viel Wohlwollen in Verbindung zu bringen. Es ist kaum möglich, allen von Fanizadeh aufgemachten Fässern nachzugehen, die - wie Susanne Messmer in der TAZ schreibt - wohl eher als „Plädoyer gegen den sozialistischen Realismus“ zu lesen sind. Diesem werden Luis Sepúlvedas Buch Patagonien Express und Ethan und Joel Coens Film The Big Lebowski Entwürfe visionärer Welten entgegengegengestellt.
Meiner Meinung nach mißversteht Fanizadeh das kritische Potential eines paradoxen Realitätsbegriffs bzw. verwechselt ihn mit ‘Realismus’ - wahlweise als ideologisches Konstrukt und/oder als künstlerische Methode. Eine an sich interessante Diskussion um populärkulturelle Utopien vs. dokumentarisch-fiktionalem Realismus wird verschenkt: Welche Vorstellung von Populismus Fanizadeh hat, wird spätestens mit seinem emphatischen Bezug auf den von ihm als „Randfigur“ bezeichneten “dude” aus „The Big Lebowski“ deutlich, den er in eine hypothetische Reihe mit Zeitungsverkäufern, Mechanikern und Fußballfans stellt: Hier drängt sich die Frage auf, wen (unter den Beutelesern?- Innen??) er mit seiner Subjektauswahl ansprechen will. Nehmen wir den als Randfigurenmodell aufgeführten Film „The Big Lebowski“, so gibt es in dieser Welt nur wenig Platz für Frauen: Wahlweise als Bräute, die für 100-Dollar Schwänze lutschen, weil sie von reichen impotenten Männern ausgehalten werden oder als JacksonPollockYvesKleinGeorgeMathieu gleichzeitig imitierende Action Painting- Künstlerin, die sich von ihm, dem dude, ficken läßt, um schwanger zu werden.
Wie sich solche bizarr-parodistischen Hollywood-Fiktionen mit Fanizadehs Realismus-Kritik gegenüber Antifas u.a. verbinden lassen sollen, ist mir ein Rätsel.
Abgesehen davon fragt man sich, ob Fanizadeh den aufgezählten männlichen Subjekten nicht am Ende eher eine Rippe als eine Lanze bricht, wenn er von ihnen gönnerhaft als derangierte ‘Randfiguren’ spricht. Er stellt sie an einen Platz, wo sie offenbar hingestellt werden sollen.
Dem angenehmsten aller Titel, ‘De(m) Boden der Freundlichkeit’, wäre zum Schluß noch die Aufforderung hinterherzuschicken, diesen nicht zu schnell zu küssen: Linker Populismus muß ja nicht heißen, Leute da abholen zu wollen, wo sie angeblich stehen. Das läuft trotz anderslautender Absichten häufig darauf hinaus, sie da hinzustellen, wo sie stehen sollen. Stärker auf die unvorhersehbaren Bewegungen der Subjekte und Subjektivitäten zu achten, ist eine gute Idee. Das schließt jedoch ein, erst mal den eigenen Subjekt-Ort der Kritik zu erkennen geben, damit gegebenenfalls die umworbenen Subjekte drauf zugehen können. Dieser Ort ist jedoch, was dieerste neue Beute-Folge betrifft, von zuviel Papa-Populismus verstellt.