Einige Fragen beim Lesen von Henry James
Lesen ohne Anlaß trifft sich mit Filmen, die durchaus Anlaß haben:
Junge Frauen als Zielgruppe
PORTRAIT OF A LADY und Washington Square sind zwei Filme, die auf Romanen von Henry James basieren und vor kurzem im Kino liefen.
Kostümfilme, die ihren Reiz auch daher beziehen, gleichzeitig zwei verschiedene Zeichensysteme zu bedienen. Ein historisches, dem man jede Verwicklung glaubt, und ein allgemeines psychologisches, das die Hauptpersonen in die anthropologische Konstante ewiger menschlicher Werte stellt.
Während das eine zur Erklärung jeder, den Film generierenden Förmlichkeit ausreicht, macht ihn das andere allgemeingültig und die Personen, von denen er handelt, zu Identifikationsfiguren. Deshalb geht man zufrieden aus dem Kino. Bei jenen Filmen, wie auch in den Büchern von Henry James, stehen junge Frauen im Vordergrund der Erzählung. In der Erscheinung der Filme, die übrigens eine Referenz zum Erstarken der Entscheidungsmacht junger Frauen bei der partnerschaftlichen Filmwahl ist, gleichen sie daher jenen, die nach den Romanen von Jane Austen gedreht wurden.
Auch davon gab es letzthin zwei im Kino, Emma und Sense and Sensibility. Alle diese Filme, die gleich aussehen und von einem ganzen Klonblock von Hauptdarstellerinnen leben, verwischen die Tatsache, daß zwischen Jane Austen und Henry James 100 Jahre vergangen sind. Die Filme behaupten lediglich den großen Zeitsprung von damals nach jetzt.
The Bostonians von Henry James wurde, soweit ich weiß, gerade eben nicht verfilmt. Glaubt man dem Klappentext, war das Buch beim Erscheinen unbeliebt und falls es sich jetzt gut verkauft, dann wahrscheinlich deshalb, weil man es mit der Romanvorlage für Zeit der Zärtlichkeit, dem aus der Reihe geschlagenen, in Boston spielenden Scorsese-Film mit Michelle Pfeiffer verwechselt.
Henry James begleitet seine Romanheldinnen meistens durch eine relativ lange Zeitspanne, die es ihm gestattet, sie unglücklich zu machen. Der durchgängig zentrale Punkt des Unglücks, die Verbindung (oder Ehe) mit dem Falschen, ist bei The Bostonians der Endpunkt des Romans. Die zentrale Person weint (sie behauptet zwar, sie ist glücklich), aber im letzten Satz steht, daß es sich hier wohl nicht um die letzten Tränen handelt, die sie wird weinen müssen.
Das Unglück, dem z.B. in Portrait of a Lady mehrere Jahre gefolgt wird, ergibt sich aus dem Widerspruch zwischen dem, was sich für die Hauptperson als zentrale Frage herauszustellen scheint und dem, was sie dann dennoch beschließt. Die Beschreibung der Klarheit und der Energie der Heldin und ihrer falschen Wahl, zeigt die Rolle, die Henry James der gesellschaftlichen Konstruktion von Liebe gibt. Kollektiv gelebte Dummheit, aber er setzt sie so, daß es seine Frauengestalten sind, die durch sie verhindert werden. Die Liebe ist hier das Ende jeder Selbstvorstellung. Und die Selbstvorstellung umso müßiger, als es fast immer klar ist, daß sie durch dieses noch nicht eingetretene Ereignis, das die Frauen immer hinauszuschieben suchen, aufgehoben werden wird. Immer lauern Zuschauer, die dieses Ende bereits erwarten und beschwören.
The Bostonians zeichnet eine ganze Reihe schiefer Figuren, aber Henry James entwirft dennoch das Bild einer real scheinenden Welt feministischer Existenzen. Dieser emanzipatorische Zirkel ist zwar das Thema und läßt den Konflikt erst entstehen, aber durch die aus männlicher Perspektive und teilweise überzeichnete Gesellschaft schimmert ehemalige Realität. Sie läßt die Frage offen, warum gesellschaftliche Veränderungen eigentlich so lange brauchen. Die Schere zwischen Möglichem und Tasächlichem, die einem hier in einem Kostümbuch (falls es sowas gibt) genau analysiert werden, verunklaren mir Geschichte. The Bostonians gibt einen Ausblick auf eine unheimliche, durchgängige Serie ständiger Rebellion. Unheimlich, weil die Gegenmacht, die die Festschreibung des Machtlosen vornahm, plötzlich in der Vorstellung ungeahnte Züge annimmt.
Nach der Lektüre von Jane Austen z.B. muß man von einer geheimen Komplizenschaft zwischen den Zuschreibungen der Rollenbilder Frau und Mann ausgehen. Diese Vorstellung der Komplizenschaft zur Macht, des Vertrags, der einen als Machtlosen, ewig Wartenden, nur verdeckt Agierenden auszeichnet, ist für mich schwer nachzuvollziehen. Sowohl Jane Austen als Henry James verweisen zwar auf den kulturellen Strafgerichtshof Liebe, der als Projektion eingesetzt wird, um Defianz zu verhindern. Die Konstruktion muß aber, gerade auch für die durchwegs sehr klarsichtigen Heldinnen, zu durchschauen gewesen sein. Warum hat sich also gerade ein Unterdrückungsmechanismus, der alle gesellschaftlichen Schichten durchzieht und von überall zu bekämpfen gewesen wäre, als einer der ausdauerndsten herausgestellt? Die Energie und Radikalität von Henry James’ Frauengestalten wirkt überzeugend. Man würde denken, ihre realen Vorbilder hätten zu jeder Zeit eine Revolution machen können. Gerade daß sich schließlich doch einiges geändert hat, macht die vorhergehenden Jahrhunderte nochmals undurchsichtiger. Es hätte doch jede seiner Figuren und die realen Vorbilder noch mehr, die Veränderung erleben wollen.