gentrifikation / nullpunkt / broken windows*
Verweilen beim Konservativen
ideologie / kritik: teil 1
EMPIRISTISCHE, soziologisch - politische Theorien, die vorgeben, objektive gesellschaftliche Prozesse zu beschreiben, umgeben sich gerne mit der trügerischen Evidenz eines gehobenen Schatzes - ihr matt funkelnder Realismus scheint unantastbar. Darum eignen sie sich auch so gut als Legitimierungs- und Machtinstrument für jedermann und dienen großen und kleinen Ideologien als realistische Stütze im All(tag) diskursiver Praktiken (dem täglichen Gerede).
Aus ideologiekritischer Perspektive gibt es jedoch zu jedem Machtinstrument so etwas wie ein komplementäres Gegengift. Indem es die Erzählperspektive umkehrt, die ideologische Verzerrung (die falsch dargestellte Realität) freilegt, um so den blinden Fleck, die Herrschaft, darin zu entlarven, entfaltet es seine ätzende Wirkung. Man hat den Eindruck, daß Öffentlichkeit zum Großteil aus solchen "politischen Korrekturen" besteht, die sich gegenseitig Aufheben und die den Kern der scheinneutralen Objektivität konservativer Hegemonie bilden. Selbst die absurdesten Behauptungen und ideologischen Konstruktionen profitieren noch von diesem "Wirklichkeitskern', um den herum sie gruppiert sind. Gerade indem sie ihn scheinbar verzerren, konstituieren sie ihn, ohne daß es ihn dahinter als volle Entität gäbe.
Die Verzerrung und das Unsichtbarmachen der Verzerrung erzeugen das Realitätsfeeling: kann man sich ganz sicher sein, ob nicht doch etwas dran ist an den Geschichten?
Kursierende Theoriepartikel wie "broken windows" und "gentrifikation" sind in gewisser Weise ein solches komplementäres Ideologiepaar, das sich zwar irgendwie nicht mag, jedoch im Punkte "naiven" Realismus doch eine Affinität aufweist, eine beunruhigende Nähe. Hier zeigen sich vielleicht die verschiedenen Seiten ein und desselben konstitutiven Verkennens (blinder Fleck), nur von zwei unterschiedlichen Standpunkten aus betrachtet, die soetwas wie die ideologische Voraussetzung von Ideologie bilden. Daß nämlich das, was verdeckt wird, der tote Punkt der Darstellung selbst ist. Indem Ursache und Wirkung nicht nur austauschbar werden, sondern mehr noch die Theorie (Symbolisierung) retroaktiv eine Logik der kausalen Abfolge erzeugt, die sie schon in ihrer Erwartung vorausgesetzt hatte, weil sie Zeit hatte sich an sie zu gewöhnen. Vor dem Hintergrund dieser Leere können dann Wertungen projiziert werden, die wiederum auf einer anderen Ebene ideologisch wirksam sind - als die die Leere verschleiernde Meinung.
verschwindende vermittler oder das fehlende unbehagen in der darstellung
Daß an der Geschichte mit den "broken windows' was faul ist, springt ins Auge - auch und gerade gegen die Evidenz der scheinbar unschuldigen Versuchsanordnung: was kann ich (Darsteller) dafür, daß das Soziale sich so verhalten hat? Und es nimmt nicht Wunder, daß die Erzählung bei der Rechtfertigung der gegenwärtigen offiziellen Linie staatlicher Sicherheitsphantasmen (zero tolerance) eine exponierte Rolle spielt.So kann jemand wie Schönbohm (derzeit Innensenator von Berlin) sich wissenschaftlich gestützt, hemmungslos seinen nationalistischen und rassistischen Machtphantasien hingeben und seelenruhig von einem positiven (ideologischen) Effekt träumen, der Erfüllung einer störungsfreien Identität durch Identifikation mit Familie, Staat und seinem (beschissenen) "Vaterland". "Sich in Deutschland wie in Deutschland fühlen wollen".
In diesem Sinne ist die Formel SchönbohmOfficial Hooligan präzise und trifft den springenden Punkt der ideologischen Konstruktion: daß nämlich die Setzung der staatlichen diskursiv / physischen Macht als Nullpunkt, DIE GEWALT als illegitime erzeugt, als die man sie dann, im Namen der allgemeinen Gastfreundschaft und Freundlichkeit legal bekämpfen muß. Hier sitzt auch die Krux in der hemmungslosen Darstellung, die Rainald Goetz von der Loveparade abliefert. Sie ist nahezu identisch mit z.B. der Schönbohms. Beide feiern die Love-Parade als Ideal einer öffentlichen Demonstration - als positive Verkörperung von Demokratie. Der eine aus ihrem innersten Innerlichkeitskern heraus, der Andere oben von der Siegessäule.
Und darin, wo sie sich scharf unterscheiden, in Beurteilung und Konsum von Drogen und Techno, halten sie eigentlich Händchen. Wieso? Indem Schönbohm Drogen und Techno von der Parade abziehen möchte (minus 98) um sie so total, als einzig politische Opposition (er wünscht sich die Loveparade minus... auch für den 1. Mai) genießen zu können, integriert er sie in seine Realität aus law and order.Stellt man sich jedoch dieses Produkt nach minus genau so vor, hat man eine gespenstische 'Demo', die absolut den Rahmen der Normalität sprengen würde und darin wahrlich politisch wäre. Goetz geht den umgekehrten Weg. Er will von der Parade alles kritisch politische, die ganze Theorie abziehen (er zieht den Vergleicht mit der 'schuldlos naiven' Jugend im NS, die von der braunen Politsoße beschmutzt wurde), um so das reine Ereignis zu destillieren, den totalen Fun von allen mit allen, als die wirklich referenzlose, den Rahmen sprengende Politik. Stellt man sich dieses Minusprodukt vor, fühlt man sich wieder in den alten ideologischen Rahmen zurückversetzt.
Voila! Ein tolles Teamwork!
Was aber ist mit dem Szenario der "Gentrifikation" - ist es das geeignete Gegengift für eine mögliche "Subversion'? Mit dieser und anderen Fragen wird sich diese Kolumne (verweilen beim konservativen) beschäftigen. Sie wird, entgegen der Gewohnheit, die beiden Theorien (Gentrifikation und broken windows) soweit es geht auf einen Platz quetschen um dann zu sehen, was von einer beschworenen Differenz noch übrig bleibt. Soviel sei aber schon verraten: nicht viel! (vielleicht ja ein Schatz ganz anderer Art?)
...wird fortgesetzt...