Grammatik: Schwierigkeiten bei der Anwendung des besitzanzeigenden Genitivs
z.B. in: Des Künstlers Hirn
ART & BRAIN II
Via Lewandowsky und Durs Grünbein,
Deutsches Museum Bonn
UM DEM GEHEIMNIS des Genies Wladimir Iljitsch Lenins auf die Spur zu kommen, zerschnitten sowjetrussische Wissenschaftler sein Hirn häppchenweise in genau dosierte Scheibchen, fanden aber keine heiße Spur auf der kalten Platte. Wann immer die Wissenschaft versucht begreiflich zu machen, womit sie sich beschäftigt und worum es ihr geht, droht sie in den abstrahierten Modellen und vereinfachten Versuchsanordnungen obskur zu werden. Darstellen ist Sache der Kunst. Und deswegen sucht die Wissenschaft in solchen Momenten den Schulterschluß mit der Kunst.
In diesen Tagen ist das meist die Schulter des Schweizer Kurators und Kritikers Hans-Ulrich Obrist. Obrist hat zusammen mit dem Kognitionsbiologen Ernst Pöppel 1995 die Ausstellungsreihe Art & Brain im Deutschen Museum Bonn im Wissenschaftszentrum gedanklich mit auf den Weg gebracht. Was kann die Wissenschaft von der Kunst erwarten? Setzt Wissenschaft gerne auf erfolgreiche Modelle, hat die Kunst den Tabubruch institutionalisiert. Beider Verhältnis ist immer ein verschobenes. Der Blick der Kunst auf die Wissenschaft ist meist einer von der Seite und damit illustrativ.
Spannend kann das Verhältnis zwischen Kunst und Wissenschaft sein, wenn die Unverhältnismäßigkeit ihrer Beziehung deutlich wird. Art & Brain Teil II besteht aus einer Installation des Dresdner Künstlers Via Lewandowsky mit guten Gaben des ebenfalls Dresdner Kindes und alten Kumpels Durs Grünbein: ein Gedicht, „Ultima Facie“ überschrieben, mit viel Benn-Geklingel drin, fast vermißt man die typische „Levkoienwelle“. Via Lewandowsky verfügte testamentarisch, soweit man das kann, daß sein Gehirn nach dem finalen Exitus der Vergänglichkeit entzogen und Bestandteil einer Rauminstallation im Deutschen Museum in Bonn werden soll. Auf einer Edelstahlsäule thront ein Glassturz - der dann irgendwann das Hirn des sächsischen Künstlers beherbergen soll. Um diesen herum läuft ein Display mit Durs Grünbeins Gedicht. Nebenbei: die aktuelle Ausstellung der beiden Hirnforscher wird - wer verschmäht schon die schnellen Lacher - vom Schmerzmittelhersteller Thomapyrin gesponsert Kopfschmerz, gell?! Dem Deutschen Museum in Bonn ist die Aufgabe gestellt, zeitgenössische Forschung und Technik in didaktischer Weise zu vermitteln. Am besten funktioniert dies, zeigt man die Technik in ihrer Funktion. Eine Hürde, die dem seinem natürlichen Gefängnis entnommenen und damit, leider, toten Gehirn zu hoch sein dürfte. Ist jemandem schon einmal die formale Ähnlichkeit eines Gehirns mit einem Kuckucksei aufgefallen? (Ich weiß zumindest jetzt, wie ein Kuckucksei aussieht.) Das tote ausgestellte Hirn würde mit dem Groschenromanniveau von Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett kokettieren.
Lächerlicher als ein nackter Mann ist nur sein nacktes Hirn. Dessen quallige, stumm-dumpfe Existenz wird vermutlich zweifelnde Fragen nach seinem tatsächlichen ehemaligen Gebrauchswert aufwerfen, freimütig FrankensteinGeschichten, Anekdoten von Friedhöfen und Untoten ausplaudern.
Trotzdem darf man nach der Ankündigung, nach Ablauf des Nutzbarkeitsdatums für sein Gehirn ein warmes Plätzchen finden zu wollen - ungefähr in der selben Weise wie Bertolt Brecht darauf bestanden hatte, für seine Überreste einen geschlossenen Zinksarg zu bekommen, auf daß ihn nicht die Würmer erwischen würden, basisdemokratisch absolut unhaltbar - darf man sich über ein Geschenk, von dessen Qualität man sich augenscheinlich noch nicht überzeugen durfte, erstmal freuen. Das Warten auf den Augenblick X, den Tag D, an dem das Lewandowskysche Hirn seinen Platz unter dem Glassturz einnehmen wird, könnte jedoch mehr an Erwartungen aufbauen, als es die Kraft des nackten Hirns, für sich selbst sprechen zu können, aushalten möchte. Man wagt es kaum, und trotzdem bricht es aus einem heraus: man will die Installation endlich vervollständigt sehen. Und an diesem fernen Tage wird es auf der Einladungskarte wie schon so oft heißen: Der Künstler ist anwesend! Teilweise, wenigstens.