Hallo neues Vorbild
RICHARD HAMILTON "Subject to an impression"
Kunsthalle Bremen
INTERESSANT WÄRE ZU WISSEN, was Richard Hamilton zum dahinscheidenden Britpop so meint. Nicht nur als Urahn dieser Kunstrichtung, falls man das gattungstechnisch unter einen Hut stecken sollte. Auch wenn ursprünglich stark dem Pop verhaftet, bezeichnet er sich selbst zu recht als „Old style-artist“. Das Internet funktioniert als Statementbude immer noch nicht besonders. Selbst unter seinem Namen gibt es leider kaum Informationen preis. Sonst finden sich dort schon immer einige brauchbare Infohappen, wenn man recherchefaul ist wie ich.
Seine Collage „ Just what is it that makes today’s home ...“ (1956) ist mit Sicherheit eines der am meisten abgebildeten Kunstwerke, nur geschlagen von Picassos „Demoiselles d`Avignon“ oder Malewitschs Schwarzem Quadrat. Daß im Prinzip eine ähnliche Arbeit von Eduardo Paolozzi schon seit fünf Jahre auf Entdeckung gewartet hat, gehört zu den wirkungstechnischen Unwägbarkeiten von Kunstgeschichte oder zur Bedeutungsgeschichte des Zeitpunkts. Womit in keiner Weise Hamiltons Stellenwert, der mir erst so langsam aufgeht, sich schmälern soll. Paolozzi ist auch niemand, der explizit zu kurz gekommen wäre. Nimmt man Hamiltons Gestaltung des „White Album“-Beatles-Cover noch hinzu, hat er zwei Eye-Seller fabriziert, wo man lange nach Augen suchen muß, die eins von beidem nicht gesehen haben.
Anläßlich des Kunstpreises der Nord/LB 1996 an Richard Hamilton sowie der dazugehörigen Ausstellung jetzt in der Bremer Kunsthalle liefert die Ausstellung „subject to an impression“ einen Einblick in Hamiltons breitgefächerte druckgrafische Aspekte seiner Arbeit. Trotz umfangreicher Präsentation bekommt man Lust auf mehr und wundert sich, daß bisher noch keine entsprechende Stelle eine komplette Show mit ihm realisiert hat. (Er bedient sehr präzise jene Schnittstelle zwischen Pop und Kontext, der es oft an überzeugender Anschaulichkeit gefehlt hat.)
Inhaltlich motiviert ist die grafische Ausrichtung der Ausstellung durch den Umstand, daß die Bremer Kunsthalle über ein europaweit anerkanntes Kupferstichkabinett verfügt. Druckgrafik muß doch nicht zwangsläufig uninteressant sein, denkt man und, was das Metier alles für fintenreiche Verfahren namens Collotypie oder Dye-transferDruck bietet. Weiter setzt sich seine Arbeitsweise angenehm von jener ab, die sich ein Werkverzeichnis mittels einer einzigen kleinen Form- oder Contentfindung unendlich reproduziert und variiert volltrickst. Hamilton war vor seiner Kunst Industriedesigner, was immer mal wieder irritierend in Ausstellungsprojekte einfließt, hat selbst Ausstellungen veranstaltet bzw. betreut (z.B. 1964 Retrospektive von Picabia in London), sowie intensiv an Publikationen anderer Künstler gearbeitet. Die jahrelange Betreuung einer Neuedition der „grünen Schachtel“ von Duchamp ist ein Beispiel, oder die Rekonstruktion des „Großen Glases“.
Die häufige, enge Zusammenarbeit mit anderen Künstlern ist in diesem Umfang auch nicht gang und gäbe, wobei die Namenhaftigkeit seiner Partner fast wieder etwas eliteclubmäßiges bekommt: Dieter Roth, wie erwähnt Duchamp, Francis Bacon, Roy Lichten stein ... es hört gar nicht mehr auf.
An seiner sparsamen Arbeitsweise fallen zuerst fünf, sechs fest umrissene Themenblöcke wie Blumenstilleben, Selbstportraits oder Interieurs auf.
Diese werden auch nach jahrzehntelangem Ruhen weitergeführt werden. Auch wenn man es erst kaum glauben mag, arbeitet sich Hamilton nach eigenem Bekunden durchaus komplett am klassischen Genresortiment ab. Es gibt verschiedene Erlösungsphantasien. Ein Genre wie Selbstportrait wird jedoch mit einer Art verqueren britischen Humor in sich auf die Kippe und Probe gestellt. Ein Selbstportrait, das mittels eines modifizierten Schriftzugs ein bekanntes Anis-Getränk (Ricard) in seinen eigenen Vornamen verwandelt, vermengt früh, genealogisch gedacht, die Logo-Identity-Problematik mit dieser historischen Genrefalle und verulkt auch die übliche Künstlereitelkeit. Oder wenn er nochmals Portraitpolaroids seiner Person von Francis Bacon vom Ausschnitt her mit eigenen Malweisen so über/eindeckt, daß das Ergebnis trotz Fotogrundlage nur wie Bacon-gemalt erscheint, mischen sich hier mannigfaltig komisch Autorenfragen.
Pop in seinem Sinn geht immer strikt, wie sonst jeder klassische Pop auch, von einer populären Vorlage aus, aber unterscheidet sich massiv durch eine ihm typische Weiterverarbeitung. Diese Weiterverarbeitung bleibt nicht seinem individuellen Typencode verhaftet, sondern der Stil fällt je nach Vorlage different aus. Das heißt Stilbrüche über Jahrzehnte haben hier weder mit einer persönlichen Formalklaviatur zu tun noch mit postmodernen Stilbingo.
Seine Ulysses-Illustrationen schauen immer noch wie vierzigjährige Buchillustrationen aus, auch wenn inzwischen aktuell wieder an ihnen weitergearbeitet wurde. Die Applikation einer Toilettenpapierwerbung trifft sich nicht nur genealogisch wieder mit dem Ansatz von Richard Prince, sondern auch verdeckt mit der Künstlerin Bridget Riley, die damals als Werbegrafikerin diese von Hamilton bewunderte Anzeigenkampagne entwickelt hat, wovon Hamilton aber keine Ahnung hatte. Sein eher resümeeartiger Zugang zur Stilvielfalt wird am deutlichsten bei einer Arbeit für eine Picasso-Gedenkmappe, in der sich komplett Picassos Stilperioden, von Hamilton interpretiert, wiederfinden. Diese ehrenvolle Rekapitulation von Picassos Stilkraft wird wiederum ausgetragen auf einem gecoverten Bildaufbau nach einem von Velazquez’ Meisterwerken.
Die von Hamilton bearbeiteten Genres lassen sich versuchshalber gut in zwei Grundhaltungen aufteilen.
Zum einen geht es in den (grausigen) Blumenstilleben, Selbstportraits und Interieurs um nahezu enzyklopädistisches und alchimistisches Taktieren von Medienoberflächen, durchaus mit seiner deutlichen Absichtserklärung Irrtümer in Benjamins Reproduktionsklassiker offenzulegen.
Zum andern zeigen die Arbeiten zum „Swinging London“ und vor allem dem Nordirlandkonflikt ein (kultur)politisches Engagement, was in seinem direkten Funktionieren sehr angenehm überrascht.
Gerade bei dem Nordirland-Zyklus stellt sich eine politische Bilddimension ein, deren Gradlinigkeit und Selbstverständlichkeit schon oft vergeblich gesucht wurde und ziemlich perplex macht. Wenn man sich an Gerhard Richters bemühte, bourgoiskokette RAF-Terrorismushuscher erinnert, sieht man hier deutlich, wie überschätzt Richters auch zeitlich nachgemachten Themenbilder ausfallen.