Und täglich grüßt das Murmeltier
ICH HABE DEN FILM „Und täglich grüßt das Murmeltier“ nie gesehen. Hätte aber gern, weil mir der Inhalt, den ich aus den TV Beilagen kenne, so künstlich erscheint, daß sich dafür der Aufwand, den ein Film so benötigt, lohnt. Zum Beispiel der Aufwand Schauspieler zu beschäftigen. Schauspieler sind bei den meisten Filmen eigentlich nicht notwendig. Regisseure wissen das auch. Aber damit ich sehe, wie sich ein Mann und eine Frau „ganz wie echt“ kennenlernen, gehe ich nicht ins Kino.
Die dem Inhalt des Films zugrunde liegende Konstruktion ist einfach. Bill Murray, als (genau weiß ich es nicht) Reporter, erlebt aus ihm ebenfalls unklaren Umständen den selben Tag immer wieder. Bill Murray, der übrigens für seine Rolle als singender Mafiaboß in Wild Dog and Glory auch schon mit Martin Kippenberger verglichen wurde, ist dabei der einzige, der das weiß. Sein Tag fängt also immer wieder gleich an, bis er sich jeweils anders benimmt und ihm daraus ein neuer Tagesablauf erwächst. Als typischer Film mit heterosexueller Zwangslogik tut er das laut Fernsehprogramm so oft, bis er die Person kriegt, die von Andy McDowell gespielt wird. Trotz des schlechten Ausgangs des Films und obwohl ich ihn eben nie gesehen habe, scheint mir die zugegeben an den Haaren herbeigezogene Konstruktion des Films ein zutiefst realistisches Element zu besitzen. Trotz anderslautender Definitionen (z.B. von Lacan) verstehe ich unter realistisch etwas, was so ist, wie man es sich vorstellt. Die realistische Dimension besteht darin, daß der Film der landläufigen Annahme Platz gibt, eine Entscheidung würde zwischen zwei oder mehreren bereits völlig klar sich im Licht der Wirklichkeit abzeichnenden, durch die Entscheidung generierten Welten getroffen. Die Entscheidung A zu grüßen generiert Welt A, die Entscheidung A nicht zu grüßen generiert Welt B. Die eigene Entscheidung generiert darüber hinaus auch in jeder betroffenen Person Lebensweg A oder B je nach Entscheidung.
Im Imaginären (das ist auch in der landläufigen Definition das, was so aussieht, wie ich es mir vorstelle) haben Entscheidungen einen schwerwiegenden Vor- und einen schwerwiegenden Nachteil. Er benennt den selben Punkt: Man weiß nicht, ob es anders anders gewesen wäre. Also nicht nur, daß man nicht weiß, wie es anders gewesen wäre, man weiß noch nicht mal, ob es anders gewesen wäre.
Entscheidungen im Grenzbereich zwischen dem (von mir so genannten) Realen und (von mir so genannten) Imaginären betreffen oft Entscheidungen zwischen Ab- oder Zusagen auf Grund von Einladungen. Hier in Berlin werden nur wenige Einladungen ausgesprochen und nur wenige sind gemeint. Die regelmäßige Möglichkeit aus- und einzuschließen, Salon des Independents, New Contemporaries oder Junge Szene als Beispiele etablierter Institutionen gibt es hier nicht.
Aus der Seltenheit Zu- oder Absagen entweder treffen zu müssen oder nicht treffen zu müssen (weil nicht eingeladen) entsteht aus dem Alltäglichen das Ereignis. Das Ereignis im (von mir so genannten) Realen nimmt an, daß eine Zu- oder Absage in der Folge ein völlig anderes Lebensmodell generieren könnte.
Nehmen wir als Beispiel den aus der Seltenheit zum Ereignis verkommenen Langeweiler Berlin Biennale. Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen, müßte man zunächst klar machen, warum es bei Berlin Biennale nicht um eine wichtige Ausstellung geht, sondern eben um ein schönes Beispiel langer Schatten werfender Zwerge. Wäre die Berlin Biennale eine wichtige Ausstellung, wäre eine öffentliche Vorabdiskussion ihrer Inhalte ein Indiz dafür. Die Diskussion des Inhaltsverzeichnisses, wie das bei Berlin Biennale passiert, ist dagegen kein Indiz. Ausstellungsmacher, die sich bis zuletzt nicht mit sich selbst einigen können, haben es zwar seit letztem Jahr einfacher, weil ihre Vorgehensweise mit dem Entstehen der documenta verglichen wird. Vergessen wird bei dem Vergleich des hier typischen „WER (ist dabei)?“, daß es bei der documenta eine ganze Reihe Diskussionen gab, WAS (und zwar welcher Kunstbegriff) ? ausgestellt werden sollte und es ziemlich bald klar wurde, daß die documenta X sich nicht durch eine Aufzählung von Namen erklären würde, sondern in einer Absicht des kuratorischen Teams.
Selbst gut auszusehen, ist ein legitimer Wunsch. Nun hat sich aber in der Kulturgeschichte herausgestellt, daß dieser Wunsch nur durch eine gewisse Risikobereitschaft erfüllt werden kann. Versucht man die eigene Wahl aber hierarchisch nach oben als Erkennungszeichen und nach unten als Distinktionsmerkmal anzuwenden, kann der Schick schon mal recht provinziell ausfallen.
Zurück zur Entscheidung: Nachdem Berlin Biennale keinerlei Themenstellung erkennen läßt, ist die Frage danach, wer daran teilnimmt auch relativ müßig. Woran denn? Es gibt zwar einen offiziellen Versuch ein Wohlergehen der hiesigen Auseinandersetzung mit Kunst an müßige Auseinandersetzungen zu binden, ein wenig mehr proletarische Zurückgelehntheit, die den BerlinerInnen doch sonst immer als Schimpfwort attestiert wird, wäre aber in diesem Fall von Nutzen. Proletarische Zurückgenommenheit also positiv besetzt heißt, erst mal die Angebote auf den Tisch. Unter der Verfügungsmacht über die Produktionsmittel machen wir es dann nicht.