SituationistInnen und andere ...
"Situationistinnen und andere Frauen in linken Zusammenhängen" ist nicht der Titel eines Vortrags, der mich sofort hellhörig werden läßt; klingt eher nach erhobenem feministischen Zeigefinger und daß man weiterhin erfährt, was man sich eh schon hat denken können.
Na ja, so einfach ist das auch nicht.
„Was interessiert uns eigentlich an der S.I. ?“
Angebrachte Skepsis
„In den S.I.- Texten taucht immer als letzte Weisheit dieses revolutionäre Subjekt auf, das dank seiner Spontaneität, Leidenschaft und so weiter das alltägliche Leben total umkrempelt.
Aber daß es so ziellos einfach umherschweift, das nehm ich dem nicht ab.“ „Die Kapitalismuskritik der Situationisten hat dann eben auch zu konkreten Aktionen geführt...“ „Das finde ich einen verlockenden Gegenentwurf zu dem, was wir gut kennen: Theoriesumpf und die Erfahrung von Diskussionslähmung, wo dann Produktionshemmung sich tarnt als Produktionsverweigerung.“
Im Rahmen der Freien Klasse Wien entstand Ende letzten Jahres eine Arbeitsgruppe zur Situationistischen Internationale: die Gruppe J.U.P. (Jane Heiss, Ulrike Müller und Patricia Reschenbach) interessiert sich vor allem für die Position und Rezeption der Frauen in der S.I.: „ausgehend von einer feministischen Rezeptionskritik, wollten wir uns über die bloße Recherche hinaus mit Konstruktionen von Geschichte beschäftigen und haben durchaus vor, aktiv in diese einzugreifen.
In Form eines inszenierten Gesprächs, in dem die drei Akteurinnen verschiedene SprecherInnenpositionen einnahmen (jeweils markiert durch ein Schild mit der Aufschrift J.U.P, BRILLE oder BART), wurden die Entwicklung und die Ergebnisse ihrer Beschäftigung vorgestellt.
Neben der Gruppe J.U.P traten also auf: Jaqueline de Jong, Künstlerin; von 1959-1962 Mitglied der S.I. als BRILLE („Ich bin hier gefragt und nicht Debord!“) und ‘Die kritische Stimme aus dem Publikum’; ein älterer Herr mit BART, Kenner sowohl linker Zusammenhänge als auch situationistischer Texte. („Er hat sich besonders auf diesen Abend gefreut und hofft, von einer Zeitzeugin interessante Details zu erfahren.“) Das Gespräch bezieht sich hauptsächlich auf eine von J.U.P. initiierte Diskussionsveranstaltung, die im Rahmen der Ausstellung „Situationistische Internationale 1957-72“ im Museum moderner Kunst in Wien stattfand.
In einem Heft mit kopierten Photos und Zeichnungen wird die Recherche ebenfalls bearbeitet.
Nostalgische Situationisten-Ästhetik kommt hier nicht auf. Die Selbstdarstellung mit Gläsern am Café-Tisch z.B. karikiert die gängige Bildpolitik in Büchern von und über die Situationisten; die Referenz aufs altbekannte Café Moineau - Abbildungen mit den üblichen Verdächtigen samt „Unbekannten“ ist nicht zu übersehen.
Die fotographischen Abbildungen geben Einblick in die Produktionsweisen (Diskussion, beteiligte Personen, Photo- und Videodokumentation, etc.); durch das Nachzeichen der Photographien wird die Arbeit fiktionalisiert, Distanz hergestellt.
Gruppe J.U.P. - Jane. Ulrike. Patricia.
„Also gerade im Hinblick auf unsere Situation in der Freien Klasse finde ich das schon sehr interessant, wie Kollektivität in der S.I. funktioniert hat. Zumal man darüber eigentlich sehr wenig erfährt.“ „Sonst würde der Mythos Kollektivität ist gleich Radikalität wahrscheinlich nicht so gut funktionieren.“ Das kollektive Subjekt ‘Gruppe J.U.P.’ tritt in der nachgestellten Gesprächsituation immer dann auf, wenn ein Überblick über methodische Herangehensweise oder strategische Setzungen gegeben wird. Ohne Requisiten sprechen die Akteurinnen ‘selbst’ und zeigen dadurch die Widersprüchlichkeiten, (Fehl-)Projektionen und verschiedenen Sichtweisen, aus denen sie ihre Methode entwickeln.
Neben der beiläufigen Entsorgung des „Mythos Kollektivität“ ist dies für den Anspruch der Gruppe wichtig: damit, den „Konstruktionen von Geschichte“ eine weitere hinzuzufügen, ist noch nicht viel gewonnen.
J.U.P. schlägt vielmehr eine andere Art der (Wis sens-)Produktion vor. Fernab linksintellektueller SpezialistInnen-Rhetorik finden sich viele Überlegungen, Verweise oder Fragestellungen hinter einfachen Formulierungen, gleichzeitig ist das Stück sehr genau und präzise konstruiert.
Warum Beschäftigung mit der Biographie von Jaqueline?
J.U.P.: „Und es ist dieser unser Ansatz, der ein sehr klassischer im Sinn von Leben und Werk ist, als strategischer Schritt von uns gesetzt worden gegen ein gängige Rezeption der Situationistischen Internationale.“
BART: „Ich höre da mit großer Spannung zu, was sie da erzählen. Wenn sie jetzt allerdings anfangen, Frauenarchäologie zu betreiben, dann muß ich ganz ehrlich sagen, das interessiert mich überhaupt nicht.“ „Also ich finde es schon gerechtfertigt, vor einem persönlichen Hintergrund , sich mit historischen Material auseinanderzusetzten. Oder konkret: Mich interessiert es, zu erfahren, wie andere Frauen mit solchen Situationen umgegangen sind.“ „Ich finde es ziemlich problematisch sich auf diese Ebene zurückzuziehen; auf das Suchen nach historischen Vorbildern und role models, weil dann würde man sich ja schon von vornher - ein außen positionieren.
BRILLE: „Was uns interessierte war eher, wie sich die Änderung der Gesellschaft in einem kreativen Rahmen vollziehen konnte und was damit geschehen sollte, jedoch nicht die sogenannte „Unterdrückung der Frau“. Ich hätte mich übrigens bei der S.I. nicht zu Hause gefühlt, wenn es um so eingeschränkte Themen gegangen wäre.“
Der strategisch biografische Ansatz scheiterte in der konkreten Situation der Diskussionsveranstaltung in Wien, vor allen Dingen an diametral entgegengesetzten Annahmen darüber, was Kunst, Politik, Feminismus oder die S.I. überhaupt waren, sind oder sein könnten.
Von J.U.P. erwünschte Berichte über die Politisierung des Alltagslebens blieben nicht aus - allerdings zeigte sich, daß die Einbeziehung der eigenen Lebenszuammenhänge für Frauen die Teil der S.I. waren, einfach nicht selbstverständlich war. Also: “Nicht nur ‘Prä- Beatles’, sondern auch ‘Prä-Zweite Welle Feminismus’: das Private war noch nicht das Politische.“ - und außerdem: auch im ‘Post-Zweite-Welle- Feminismus’ ist das Private nicht für alle gleich das Politische.
Jacqueline de Jong wollte lieber über ihr „Werk“ als über ihr „Leben“ sprechen.
Ihre Version der Dekonstruktion situationistischer Geschichtsschreibung, ins Bild gesetzt durch eine klassisch situationistische Zweckentfremdung ihrer Malerei und in dem fiktiven Gespräch beschrieben, ist nicht gerade im Sinne der Produzentinnen.
Böse Fabelwesen zerstören Otto Eders Lieblingsmythen
Die Diskussionsveranstaltung in Wien entglitt den Veranstalterinnen als Schlagabtausch zwischen BART und BRILLE. Während des Gesprächs werden die unterschiedlichen Sprachlichkeiten der Charaktere, die Mißverständnisse, Bruchstellen und Unklarheiten der Situation so in Szene gesetzt, daß zumindest einige situationistische Mythen den Schauplatz geknickt verlassen müssen.
BRILLE: „Man kann Kunst und Politik nicht mischen. Auch wenn ich wahnsinnig gerne die Welt verändern will.“
BART: „Sie können mich als alte Situationistin natürlich korrigieren und da... da muß ich natürlich meine situationistische Sichtweise auch ändern.“
BRILLE: „Ja ..., ja natürlich.“
BART: „In erster Linie haben sie sich als Künstler verstanden, in erster Linie wollten sie in den Kunstmarkt, in erster Linie wollten sie genau an diesem Kunstbetrieb teilnehmen... dann, dann ist alles, was ich bisher an theoretischen Schriften zu den Situationisten gelesen habe, also dann ist alles... offenbar... einfach alles offenbar falsch.“
Coole Interpretinnen
Das war ungefähr der lustigste Vortrag, den ich seit langem gehört habe und gerade in Bezug auf aktuelle KulturproduzentInnen-Interna-Debatten, wo die Anforderungen über eine angemessene Positionierung von Kritik, SprecherInnenposition, AutorenInnenbegriff, persönlichem involviert sein, etc z.T. unüberwindlich scheinen; Produktion unnötig wird, weil man sich die folgende Kritik schon gleich selbst mitdenken kann, kann ich nur sagen: das finde ich einen verlockenden Gegenentwurf zu dem, was ich gut kenne.
Die Zitate sind aus dem Stück "SituationistInnen und andere", z.T. gekürzt und neu kombiniert.