Was, wenn es Wirklichkeit wird ?
Bettina Hoffmann
Galerie Brotfabrik, Berlin
MANCHMAL KLÄREN SICH DINGE, ohne großes Zutun. Darauf hoffen undberufen sich vor allem verwaltungstechnische Institutionen und fahren damit nicht unbedingt schlecht. Was aber nicht heißen soll, daß sich alles von selbst klärt.
Wenn man sein Brot in solch einer Umgebung verdient, kann’s einem leicht passieren, dieses Phänomen der Selbsterledigung mit hinüberzunehmen in die andere Konzeption von Leben und Arbeit.
In der Galerie Brotfabrik, Prenzlauer Promenade, waren die jüngsten Arbeiten von Bettina Hoffmann vom 4.Juni - 9.Juli 1998 ausgestellt . Auch sie operiert mit diesem Phänomen, wenn ihm auch diametral entgegen. So sehen wir Fotografien, auf denen ganz normale Alltagsgeschehnisse, Szenen eines modernen Lebens stattfinden. Banale Szenen: Im Wohnzimmer. Im Schlafzimmer. In der Küche. Im Flur. Im Freien. Doch der Blick auf die Fotos verrät uns noch etwas anderes.
Die Künstlerin selbst stellt alle Personen auf den Fotos dar. Bettina Hoffmann, die Fotografin, lichtet sich immer selbst ab. Situationen werden aufgenommen und am Computer zueinander montiert. Dieses Zusammentreffen mit der immergleichen Person macht es schwer, Identifikationspunkte zu finden, macht es unmöglich, eine eindeutig interpretierbare Handlungsstruktur zu erkennen: etwas geschah, etwas wird geschehen. Was es war / sein könnte, wird nicht erklärt. Bei einigen Arbeiten, könnte man die Herangehensweise zu erkennen meinen, wie z.B. eine Person aus der Gruppe hat den Blick auf den Betrachter gerichtet, so als würde diese Person uns sagen wollen: hier, ich bin die Richtige.
Doch es wäre zu simpel, zu einfach, wenn es so wäre. Nicht eben bei allen Arbeiten ist der Blick einer/der Beteiligten auf den Betrachter gerichtet. Es gibt also keine Regel, die uns hilft, die wahre, die ehrliche, die richtige Person herauszufinden.
Die Fotos sind filmisch anmutende Szenarien, erinnern an die Ästhetik von B-Movies der 70-Jahre. Dem entgegen ist aber wiederum der Aufbau der Szenen (Interieur, Ausstattung, Kleidung) auf ein Minimum reduziert. Betulich wird darauf geachtet, nicht modisch zu wirken, nicht in den Sog modischen Kalküls zu geraten, was klug ist. Zuviele versuchen ihre Väter zu beschwören.
„Ich denke mir für die Personen, für die jeweilige Person eine Rolle aus.
Wichtig ist, daß es natürlich aussehen muß. Ich habe eine Idee, z.B eine Person läuft die Treppe herunter, ist dynamisch, weiß, was sie will, die andere, die vorne sitzt, sitzt nur rum und langweilt sich, hat nichts zu tun. Die dritte Person läuft vorbei, kuckt den Fotografen an und wundert sich, was hier los ist.” Oder bei einer anderen Aufnahme: “Im Freien, vier Personen: Eine sagt zu der anderen, die sich sichtlich unwohl fühlt und sich wegdreht, hey, was willst du denn, sodaß diese dominant ist und auch ihre Ablehnung klar macht. Die dritte kümmert sich wenig darum, ist vielleicht beeindruckt. Man sieht es aber nicht. Ganz hinten kommt eine weitere Person auf die Gruppe zu, das Geschehen bleibt aber offen.” Wieder eine andere Szene: „In einer Küche stehen 3 Personen. Eine, mit dunklem T-Shirt und dunklen Jeans bekleidet, steht cool im Türrahmen, die Situation in der Küche am besten einsehend.
Eine andere steht an die Küchenzeile gelehnt, trinkt etwas, ist der Person an der Tür zwar körperlich zugewandt, jedoch ist der Blick auf die dritte Person gerichtet, die gerade Geschirr abwäscht.
Sie ist nur mit einer Bluse und Unterhose bekleidet und kehrt beiden den Rücken zu. Sie wirkt dadurch verletzlich.“ „Ich denke mir eine Geschichte aus, wo das und das vorkommen soll und diese Geschichte unterteile ich in verschiedene Positionen und wie sich die Personen in den jeweiligen Positionen fühlen.
Was Ausstattung und Kleidung angeht, versuche ich äußerst wenig zu inszenieren. Das hat den Vorteil, daß dadurch beim Betrachter der Interpretationsspielraum vergrößert wird und die Identifikation geringer bleibt, als wenn ich gezielt etwas vorgebe. Wichtig ist nur, zu erkennen, daß zwischen den einzelnen Personen etwas vorgeht.
Zuviel Spielerei, zuviel Eitelkeit würde der Szene jegliche Natürlichkeit und Ernsthaftigkeit nehmen.
Ich möchte nicht, daß anhand von Kleidung, Schminke etc. die Person in eine Rolle gedrängt wird, daß sie über den derzeitigen Moment hinaus eine Geschichte bekommt.“ „Die Herangehensweise ist ähnlich, wie bei den Comics, die ich vorher gemacht habe. Ich nehme eine Person, die sich vervielfältigt und bevor ich mir überlege, welche Person dies sein sollte, ob sie blond, braun etc., alt, jung, Schauspieler oder nicht ist, nehme ich mich. Damit umgehe ich das ganze Problem der Entscheidung. Unabhängig davon, daß ich auch immer zur Verfügung stehe.
Bevor ich der anderen Person erkläre, was sie nun ausdrücken soll ... es ist auch wirklich egal, wer es ist. Es sind ja nur Figuren und das bin ich ja nicht mehr. Für mich wird es auch ungreifbar.
Diese Person, wer ist denn das, ich sehe mich nicht mehr in dieser Person. Trotzdem denke ich, daß es aber noch einen anderen Grund geben wird, warum ich mich nehme. Doch im Moment kann ich dazu nichts sagen.“ “Es handelt sich um eine Untersuchung zwischenmenschlicher Beziehungen im Grundsätzlichen.
Ich beobachte Menschen, Situationen, Bewegungen, Gestiken, wie sie sich verhalten, z.B. in der U-Bahn. Die U-Bahn ist für so etwas der ideale Ort. Eine Frau schaut einen Mann von oben bis unten an, oder umgekehrt. Was geht in ihnen vor, was denken diese Menschen? Was taten sie, bevor ich sie sah, wohin gehen sie anschließend? Oder der Nachbar, gestern war er noch freundlich, heute tut er so, als würde er einen nicht mehr kennen. Es sind immer nur Kleinigkeiten, die das Interesse auf Personen lenken. Kleinigkeiten, an denen ich versuche mich in ihre Situation hineinzuversetzen, Situationen zu erkennen, Verhaltensmuster zu begreifen.“ Und was, wenn es Wirklichkeit wird? „Schrecklich.
Viermal ich. Oh, Hilfe. Ich denke da nicht unbedingt an Genmanipulation.
Wenn auf einmal das Bild real wird, dann sehe ich wirklich so aus wie die Personen auf den Fotos.“ Das Interessante, Entscheidende und Schöne an diesen Fotos ist, daß das Erscheinen von ein und derselben Person die Verwirrung komplett macht.
Das „Geschehen“ keine Handlung bekommt. Die Personen zu Un-Personen werden. Die Beziehungen keine Beziehungen sind. Dieser Akt ist der Akt des Zusammentreffens des Körpers mit seiner Selbstentfremdung, mit dem Verlust seines Status. Diese/die Entfremdung, die im Erleben des Bildes erfahren wird, ist zu unserer orthodoxen Form der kulturellen Klarheit geworden.
Das schreckliche Ende einer Serenade.