Wer ruft das Off von außen ?
Seinesgleichen geschieht
Wenn etwas als Geschichte erscheint, ist anzunehmen, daß jemand ein Interesse daran hat, aus Vergangenem etwas in Zukunft Wirksames zu machen.
Wenn hier versucht wird, in etwas, das verschiedene AkteurInnen hatte, eine Linie zu bringen, dann deshalb, weil sich daraus ein anderes Bild ergeben soll.
Ein anderes Berlinbild. Eine Topographie von Berlin, die auch hier wahrscheinlich wieder nur von jenen nachvollzogen wird, die an ihr beteiligt sind. Wenn, was manchmal geschieht, die hier beschriebenen Schauplätze im Kunstbetrieb auftauchen, werden sie unter dem Aspekt eines "Dagegen" zusammengefaßt. Das Wort countercultural kann in diesen Beschreibungen fallen. "Gegen" steht vor dem Wort oder Off.
Im Off verschwimmen die Grenzen. Manchmal geschieht das auch in Wirklichkeit und absichtlich. Koalitionen entstehen. Off bleibt aber immer eine Beschreibung "von der anderen Seite". Im täglichen Leben, nur manchmal von den Folgen der Beschreibung gestört, liegen die Auseinandersetzungen anderswo.
Die Foren, die das Geschehen in Berlin hat, liegen oft außerhalb der Stadt, nicht mal in Deutschland. Eines der wichtigsten Foren für eine Entwicklung in Berlin war über die letzten Jahre die Zürcher Institution Shedhalle. Ein weiteres ist die Wiener Zeitschrift Springerin (früher Springer). Texte zur Kunst und Spex aus Köln sind ebenfalls etwas, worin in Berlin geblättert wird, wenn man etwas "von sich" erfahren möchte.
Dieser Zusammenhang hat auch eigene Publikationen. Bevor A.N.Y.P. jeweils einmal im Jahr erscheint, hat fast jedeR einmal vorm Computer gesessen, von dem/r dieser Text handelt. Diese Entwicklung bei A.N.Y.P. bezeichnet dabei die Leerstelle des Zusammenhangs. A.N.Y.P. als Organ des Minimal Clubs 1989 gegründet, war lange Zeit eine Art Jahrbuch der Tätigkeiten der Club Mitglieder. Bevor A.N.Y.P. zum Jahrbuch der BerlinerInnen wurde, gab es eine Ausgabe, von der ich mir damals gewünscht hatte, ich hätte sie selbst herausgegeben. Nachher war das Angebot dort zu schreiben Ausblick auf Öffentlichkeit. Und davon gab es in Berlin nicht viel.
Jetzt ist es, um einen Wiener Feuilleton Anfang zu zitieren, auch schon wieder drei Jahre her, daß man Messe 2ok veranstaltete. Messe 2 war eine Parallelveranstaltung zur Kölner Kunstmesse und versammelte einen großen Teil der selbstorganisierten Kunstproduktion zum Thema Ökonomie. Maßgeblich wurde sie von Alice Creischer, Andreas Siekmann und Dierk Schmidt initiiert. Ein Eckstein der Messe 2 (ok) war die "Siemens Diskussion". Nachzulesen ist die Siemens Diskussion im Messe 2 Reader, einer Art Katalog der Veranstaltung, der bei Permanent Press in Köln erschienen ist.
Die Diskussion kurz darzustellen hieße, zu sagen, daß sie immer noch existiert. Vielleicht ist in Berlin alles, was geplant wird, Siemens, vielleicht in ganz Deutschland. Messe 2 hat gezeigt, daß man auch ohne Siemens etwas veranstalten kann. Aber was uns in Berlin jeden Tag dagegen gehalten wird, ist, daß mit Siemens in einem ganz anderen Ausmaß veranstaltet wird.
Berlin wird eben unter der Voraussetzung entworfen, daß jetzt alle mal kapieren sollen, daß das mit dem gesellschaftlichen Auftrag des Staates als Repräsentant der Souveränität seiner BürgerInnen bis hierher ein Trugschluß war. Bestimmte neue Naturgesetzlichkeiten, als klar gezeichnete Linien zwischen dem Wohlergehen des Mehrwerts und dem des Menschen, erhalten hier ihre Umsetzung.
Die Diskussion der eigenen Bedingungen innerhalb des brutal formulierten Rahmens (Ungeziefer - Landovsky) stellen eine Differenz zur Diskussion in den Jahren zuvor da. Der andere Ort (Köln nach Berlin) war auch ein shift von der Kritik an der Versorgungspolitik des Staates (mit Wien als belächeltem Paradebeispiel) zu einer Kritik der Unterlassung genau jener Sorgepolitik, die sich an den Repräsentationshöllen Hamburger Bahnhof oder Nationalgalerie zeigen läßt (mit Wien als Refugium zur persönlichen Einkommensverbesserung).
Minus 96, die im Jahr nach Messe 2 veranstaltete Messe im Ahornblatt in Berlin, wird oft als der Punkt beschrieben, an dem darauf verzichtet wurde, daß Selbstorganisation in Berlin irgend eine kulturpolitische Relevanz bekam. Die Vorstellung von Öffentlichkeit bei Minus 96 war so diffus, daß jedenfalls nur die falschen Leute kommen konnten. Erstens wurde fast niemand eingeladen und zweitens fühlte sich niemand angesprochen. Auf den Photos, die davon existieren, sitzen trotzdem eine Menge Leute herum. Von hier an war es nicht mehr klar, ab wievielen und welchen Menschen als Publikum man etwas als gelungen ansehen wollte. Auf der gelungenen Party sind zwei mit denen man nicht gerechnet hat und die man sehen wollte, auf der nicht gelungen fehlt eineR, wegen dem/r man sie veranstaltet hat.
Vor kurzem habe ich irgendwo gelesen, daß Minus 96 als Untertitel Kongreß zu Ökonomie und Stadt hatte, woran ich mich nicht mehr erinnern konnte. Jedenfalls wurde auf Minus 96 das Konzept von Innenstadtaktionen (an dem bereits Gruppen in Zürich, Frankfurt, München und Berlin gearbeitet hatten) vorgestellt.
Bei der Präsentation existierte bereits die Vorstellung von überregionalen Aktionstagen zur Verdrängungspolitik in den Innenstädten. Sex and Space in Zürich und Common Spaces, Common Concerns, in Berlin, beides Auseinandersetzungen mit minoritären Positionen in der Veränderung des städtischen Raum hatten stattgefunden. Während sich Common Spaces v.a. mit kultureller Repräsentanz auseinandersetzte, ging es bei Sex and Space mehr um die bauliche Hardware. Common Spaces war die erste größere Veranstaltungsreihe in den Räumen Schröderstraße. Gleichzeitig die letzte, bei der Klasse 2 an der Tür stand.
Ungefähr ab Minus 96 sprachen viele nur mehr mit Vorbehalten miteinander. Der Titel hatte das Jahr ziemlich eingeholt.
Nimmt man eine andere Zeit, die frühen Siebziger als Beispiel, könnte man vergleichen, daß es auch hier nach dem Kongreß mit Mikropolitiken weiterging. Mikropolitik und Professionalisierung, die aber nicht unter den eigenen Bedingungen stattfand. Die fremden Bedingungen führten dazu, daß man sich verstärkt von außen wahrnahm.
Was konnte man sehen ? Die offizielle Seite hatte sich überraschend schnell formiert. Und unter Bedingungen, die in ihrem kleinlichen Konservatismus so nicht mehr zu vermuten gewesen waren. Was bei Minus 96 stattfand, war sicher kein Kommentar zum Berliner Kunstbetrieb, wie es vielleicht Messe 2 für Köln gewesen war. Das lag in der Erfahrung, daß Kunst- und Kulturpolitik in Berlin nur als Teil eines stadtpolitischen Diskurses gelesen werden können. Der Shift von Ökonomie (Köln) zu Stadt (Berlin) spiegelt auch die Realität der beiden Städte. Kulturpolitik in Berlin ist Teil oder Kommentar der Repräsentationspflicht der Stadt. Kaum jemand, der in Berlin den offiziellen Kunstbetrieb ausmacht, versucht sich diesem Auftrag zu entziehen und niemand stellt ihn gar öffentlich in Frage. Es gibt keine Kunsträume, in denen sich Allianzen gebildet hätten, die sich gegen die, für Außenstehende zunächst unglaublich scheinende, Sprach- und Handlungsregelung der neuen Hauptstadt gestellt hätten.
Das Problem bei Minus 96 war, daß man zu diesem Betrieb keine Opposition auf der Ebene von Kunst oder Kultur formulieren wollte. Nichts schien mehr so faßbar.
Zu Beispielen wie der Sammlung des Hamburger Bahnhofs, Deutschlandbilder oder dem Symposium zur letzten Berliner Kunstmesse läßt sich auch rein kulturpolitisch nichts sagen. Der Versuch eines Verständnisses solcher Veranstaltungen führt zu einer Beschäftigung mit der Selbstkonstitution des fiktiven Staats in der Realität der Stadt. Und umgekehrt scheint die Kulturpolitik Schlüssel zum Verständnis der zunehmenden Unteilbarkeit von Berlin zu sein. Oder welchen anderen Schluß sollte man z.B. aus Deutschlandbilder ziehen, als daß nur Menschen mit deutschem Paß (oder deutschem Blut?? wie Eva Hesse) legitimiert sind, sich ein Bild über Deutschland zu bilden? Und sagt mir das die Zulassung zu Wahlen in Deutschland nicht genauso ? Vielleicht noch, daß sich deutsche (Kultur +) Politik bei einem nichtdeutschen Anteil von über 20% in den deutschen Großstädten auch ohne diesen Bevölkerungsteil repräsentiert sehen kann. Oder daß nach 50 Jahren deutscher Kultur- und Bildungspolitik niemand, der in der herrschenden Sprachregelung ein Ausländer (oder noch weiter gegriffen eine Ausländerin) wäre, so etwas wie ein Staatskünstler geworden wäre, also auch deutschlandbildertauglich ?
Aber wird mir das Scheitern einer Bildungspolitik, die gleiche Chancen bietet, nicht auch durch die Relation in der Statistik zwischen Staatsangehörigkeit und Schulabschluß vorgeführt. Der Vorteil bei Deutschlandbilder bleibt, daß diese Verhältnisse "ausgestellt" werden.
Sich mit Galerien der Auguststraße, Kuratoren, die als Programm nichts als Hauptstadt Berlin zu sagen haben und neuen Museumsbauten auseinanderzusetzen bekommt so höchstens Wert in der Auseinandersetzung mit der Erzeugung eines neuen deutschen Selbstbildes. Für ein Gegenüber, die eigene Kunst- oder Kulturproduktion betreffend taugen diese Positionen nichts.
Die Souveränität einer Berliner Topographie, die sich aus den beschriebenen Gründen des Nichtexistierens einer halbwegs liberalen kulturellen Öffentlichkeit zur Zeit nur selbstorganisiert entwickeln kann, betrifft aber auch ihre Ressourcen. In Berlin selbst kann man sich kaum Einladungen zu einer Auseinandersetzung erwarten. Auch kein Geld. An Projekten wie A-Clip, B-Books + Verlag, Jazzclub, Laden oder Salon gehen die Einladungen mit der Aufforderung, hier das Off zu mimen, vorbei. Briefe mit falschem Adressaten. Auch wir sehen das Off von außen.