Clouds
An die werte Leserschaft, statt einer Einleitung ein Satz vorab: Wir reisten nach London zu einer Konferenz, besuchten eine Manifestverlesung in Berlin, schauten einen Kinofilm, blätterten in neuen Buchveröffentlichungen, filterten die virulenten Begriffe heraus und schickten das Ganze dann zu Starship.
Alpha Fail Drei Frauen sitzen körperlich recht präsent auf der Bühne des ICA in London, in einem Black Cube-Theater. Es ist der zweite Tag der #FOMO Konferenz – FOMO = Fear Of Missing Out. Es geht um die Ängste der Menschen in dieser digitalen Welt, die mehr und mehr die reale durchdringt. Ihr feministisches Wörterbuch haben die Rednerinnen, die sich als Gruppe „Women Inc.“ nennen, als Powerpointpräsentation mitgebracht – absichtlich seriös im Corporate Design gestaltet, wie sie später erklären. Es fängt bei A an: Alpha Fail. Irgendwann folgt B wie Benetton Filter. Damit spielen sie auf den Political Correctness-Modus an, den die italienische Modefirma irgendwann in den Achtzigerjahren etabliert hat: nämlich Models aller Kontinente in einer Kampagne zu vereinen. United Colors stand quasi für ein idealisiertes Bild der Vereinten Nationen – heute nennt man das Diversity.
Bro.O.O. Und dann kommt der Hit: Bro.O.O., „Bro-oriented ontology“, angemessen lässig ausgesprochen von der New Yorker Kuratorin und Autorin Jamie Sterns. Damit kritisieren sie den männlich dominierten Philosophie-Diskurs der modischen object-oriented ontology (OOO), die Objekte beim Beantworten philosophischer Fragen nach Identität, Existenz und Dasein ins Zentrum rückt. Die in ihrer Anzahl übersichtlichen Wörterbucheinträge – bei denen wie im Urban Dictionary zuerst eine allgemeine Definition des Begriffs steht, dann ein Beispielsatz – wollen die drei Podiumsteilnehmerinnen aber vorerst nicht im Netz teilen (vermutlich warten sie auf ein gutes Angebot). Denn es gibt durchaus eine Bro-Orientierung – das Kollektiv „Women Inc.“ bleibt nicht in Bestform, sondern liest auch Beiträge vor, die Machtstrukturen bestätigen (indem sie zum Beispiel voraussetzen, dass ihre LeserInnen sofort wissen, wer gemeint ist, wenn sie bestimmte männliche Kuratoren und Herausgeber nur mit Vornamen nennen) bzw. neue herstellen, weil sie ihr Wörterbuch so ausufernd anlegen, dass sogar die weitläufig bekannte globale Star-Architektur-Strategie des Guggenheim-Museums unter „Guggencrime“ darin als schlapper Mainstream-Scherz aufgenommen wird. Mit Feminismus hat das dann nicht mehr viel zu tun – aber eben mit den Machtstrukturen.
Laboria Cuboniks Weitaus inklusiver und weniger egozentrisch oder markenorientiert als die Wort-Managerinnen von Women Inc. gehen Laboria Cubonik vor, eine internationale sechsköpfige Gruppe. Sie sind die Urheberinnen eines Manifestos, in dem sie, die sich als „Erbinnen“ von Cyber- und Technofeminismus verstehen, den „Xenofeminismus“ ausgerufen haben. Der Begriff soll als Platzhalter für ein neues feministisches Genre dienen, das nach und nach, von jedem und jeder (wie eine Open Source-Software) mit Inhalten und Zielen gefüllt werden kann. Xeno heißt im Griechischen fremd, alien. Ein ziemlich smarter Kniff, um alle einzubeziehen und selbst aus einer „nobody in particular“-Perspektive zu sprechen.
Xenofeminismus Der erste Meilenstein ist geschafft, und es ist kein kleiner: Bei Merve ist im Mai 2015 das Buch dea ex machina erschienen, in denen Laboria Cuboniks’ Xenofeministisches Manifest abgedruckt ist. Kein Zufall, dass Xero und Xeno fast gleich klingen. Und was dieser Xenofeminismus sein kann, der so nach Neuanfang (Zero) klingt, vor allem aber auf eine sich selbst fremde Identität hinweisen will, das ist an einem Abend im Schinkel Pavillon (bzw. seinem Satelliten, dem Prinzessinnenpalais) herauszufinden.
Q & A Circa 120 Zuschauer finden sich bei sekündlich sinkenden Temperaturen ein, 120 Zuschauer und ein Hund. Die drei Mitglieder der ansonsten im Anonymen verbleibenden Sechsergruppe (weiß, weiblich, nördliche Welthalbkugel, soviel wird verraten) werden von einem Mann vorgestellt; dem Mitherausgeber Armen Avanessian, der ein 45 Minuten Programm ankündigt, mit der Aussicht auf ein „Q & A afterwards“, sich dann erhebt und den drei Damen auf der Bank ausrichtet, dass sie jetzt „ihre 45 Minuten“ haben. Take this, Laboria Cuboniks!
Jagdhundgesicht Der Hund, der einzige im Raum, hat ein feines Jagdhundgesicht, das schimmernde Fell spannt sich über seine Knochen und Muskeln, jede Bewegung ist ein Aufglänzen. Der Mann, zu dem er gehört, streichelt seine Ohren, er schaut ihn dabei an und nur selten zu den drei Xenofeministinnen. Die Frau, die mit ihm dort ist, hat das Hinterteil des Hundes mit ihrer Hand umfasst. Der Hund ist schläfrig, aber die Menschenhände halten ihn wach; bald schon leckt er die Hand des Mannes ab. Etwas Mütterliches geht von der Szenerie aus, mehr noch aber etwas Patriarchales.
Medienkunst Die Frauen auf dem Podium haben ihre Beine alle gleich übereinander geschlagen; das rechte über das linke, in Richtung Licht. Armen Avanessian bewegt sich hinter den im Hintergrund des Raumes aufgeschichteten Fernsehern, der multimedialen Installation Total Recall der wohlgemerkt weiblichen Künstlerin Gretchen Bender, die sich wohl nicht zufällig im gleichen Raum befindet wie die drei Xenofeministinnen, und knipst die 123 fröstelnden ZuschauerInnen mit seiner Handykamera. Und den Hund. Später steht er am Fenster und bemüht sich, im Dämmerlicht, das in die Prinzessinnengruft hineinfällt, in dem Merveband dea ex machina zu lesen.
Socially Positive Propaganda 1991 sagte Bender in einem Interview mit Peter Doreshenko: „Given material that is violent, racist, and sexist, I try to make it a little less violent, less racist, and less sexist. I’m still involved in a kind of questionable propaganda, but one small step makes a difference.“ Schließlich findet Bender das passende Label für ihr affirmativ-subversives, elektronisches Theater: Sie nennt es „socially positive propaganda“.
Akzeleration Merve-Band. Mit Hashtag. Laut dem Klappentext sind damit hyperdynamische Bewegungen gemeint, die sich auf den Finanzmärkten und im Technologiesektor abzeichnen. Nochmal Gretchen Bender 1991: „I believe that an acceleration into, rather than a resistance to, our multi-layered visual environment will reveal structures or open windows to the development of a critical consciousness we can’t yet perceive as useful from within our immediate vantage-point.“ Das Xenofeministische Manifest entstand als kritische Reaktion auf die Debatte um den Akzelerationsbegriff, denn, schreiben die Xenofeministinnen: „There were no chicks in accelerationism, there was no technofeminism in accelerationism.“
Mensplaining Dieser Neologismus wurde in Australien zum Wort des Jahres 2014 gekürt. Beeindruckend progressiv im Vergleich zur „Lichtgrenze“, das Wort, das die meisten Stimmen in Deutschland bekam. Statt „emo nation building“ geht also auch kritische Genderdebatte! Denn Mensplaining bedeutet, dass ein Mann einer Frau etwas erzählt, was sie schon längst weiß; er hält ihr einen Vortrag anstatt mit ihr ein Gespräch zu führen. Ein bekanntes Beispiel: Die US-amerikanische Autorin Rebecca Solnit wurde 2003 auf einer Party von dem Gastgeber gefragt, worüber sie so schreibe, und als sie anhub, von ihrem aktuellen Buch zu erzählen und dabei den Namen des Fotografen Edward Muybridge erwähnte, unterbrach der Mann sie mit folgendem Einwurf: „Und haben Sie schon von dem sehr wichtigen Muybridge-Buch gehört, das dieses Jahr erschienen ist?“ Was natürlich ihr Buch war, von dem sie gerade … naja… Worauf Solnit einige Jahre später den wütenden, klugen Aufsatz Men Explain Things to Me schrieb (2015 als Buch erschienen).
Ex Machina Über Alex Garlands Film Ex Machina gab es eine grandios geschriebene Kritik im New York Review of Books. Der Artikel startet mit elaborierten Ausführungen zur Frühgeschichte der Mensch-Maschine; erzählt von Roboterfantasien der alten Griechen. Der Autor Daniel Mendelsohn spekuliert, ob nicht eigentlich die Leute unbemerkt immer roboterhafter werden, während es die Roboter raus ins pulsierende Leben drängt, an den Strand oder in die Metropole. Aber Daniel Mendelsohn, nervt es nicht doch ziemlich, dass diese Artifical Intelligence-Figur(en) so sexualisiert werden? Alle weiblichen Figuren in dem Film haben einen idealisierten Körper, der auch von der Filmkamera inszeniert wird wie „Objekte der Begierde“. Es ist doch nichts Neues, dass ein omnipotententer weißer Mann etwas Geniales hervorbringen will und sich letztlich seine Sex Toys programmiert! Wenn weiter diese Stereotype reproduziert werden, dann ändert sich ja nie was! Kurzer Schreck also, als der eigentlich so bewundernswerte Autor McKenzie Wark in London bei #FOMO den Film Ex Machina einen „feministischen Film“ nennt – etwa, weil sich eine der programmierten Ladies am Ende an ihrem Erfinder rächt, um sich aus ihrem Testbed zu befreien?
Gegenwartsmonster Eigentlich ist es eine klassische Roboter-Dystopie: We have created a monster und dann gerät es außer Kontrolle; was immerhin über den Link zu Google interessant zu werden beginnt. Unser Gegenwartsmonster, das wir 24 / 7 mit neuen Daten füttern. Und Garlands Film macht indirekt für Verschlüsselung Politik. Denn der von der künstlichen Intelligenz beeindruckte junge Tester vergleicht Ava, die neuste AI, mit einem göttlichen Werk, wird aber aufgrund seines ausgewerteten Pornoprofils ziemlich manipulierbar und verliert seinen scharfen analytischen Geist, mit dem er anfangs in der abgeschiedenen Bergwelt aufblitzen konnte. Doch wie sagte es neulich der Philosoph Jean-Luc Nancy so gescheit: „Das, was wir hassen, ist vielleicht unsere eigene Unfähigkeit, die Götter zu ersetzen.“
Digital Self-Defence Der Digital Self-Defence-Anleitung der Xenofeministinnen folgend, haben wir Add-ons im Browser aktualisiert. Tor installiert. Den Cache erodiert. Im Guardian haben wir von der Firma Silent Circle gelesen, die ihr Headquarter aus Sicherheitsgründen von Kalifornien in die Schweiz verlegt hat, deren Blackphone scheint das ultimative Telefon zu sein, wenn weder Textnachrichten noch Telefonate an anderen Stellen wieder auftauchen sollen. Schwarz ist das neue Schwarz.