Das Lamas-Haus
Seit Jahren schon besuchen wir regelmäßig das Lamas-Haus von Humberto Alonso. Es ist regelrecht unser architektonischer Favorit geworden, vielleicht weil es auf der Schwelle zwischen der Zeit des Batista-Regimes, und der Revolution 1959 entstanden ist und damit in unsere Recherche zu vor- und nachrevolutionärer Moderne passt. Jenem Zeitpunkt, als das Momentum der Moderne in Kuba zunächst mit einem innovativen Tropicalismo variiert wurde und gleichzeitig auf die massive Wohnungsnot Antwort geben musste, die die neue Regierung zu beheben versprochen hatte. aGleichzeitig gab es jenen neuen, groß angelegten "Bildungsauftrag", für welchen die kubanische Revolution immer gerühmt wurde und der noch heute seine Auswirkungen zeigt. Kurz nach dem politischen Umschwung wurden große Bildungsinstitute gebaut, wie die Nationalen Kunstschulen (ENA oder ISA, 1959–1961) und die Echeverría-Universitätsstadt (CUJAE, erste Bauphase 1964), geplant wie das Lamas-Haus von Humberto Alonso zusammen mit Ferdinando Salinas. Mit der Wohnbausiedlung Habana del Este (1959–61) bilden sie die drei "Proyectos Grandes" des neuen Regimes, wobei Letztere wohl bereits vor der Revolution in Planung war, aber eventuell danach andere Bewohner als vorgesehen bekam. Weitere Universitäten und Wohnanlagen folgten, entworfen vor dem Hintergrund, und beeinflusst von unterschiedlichen politischen, architektonischen und finanziellen Phasen des Landes.
Das Lamas-Haus wurde sicher nicht für den Zweck allgemeiner Behausung geplant. Ort, Lage und die Form einer wenn auch großartig experimentellen Villa lassen eher auf einen Auftraggeber ohne sozial-revolutionärem Auftrag denken. Doch die strukturelle Offenheit des Hauses macht es so faszinierend. Der Verlauf von Wand und Decke wird ständig gegeneinander verschoben so dass sich immer wieder neue Blickwinkel ergeben. Eduardo Luis Rodriguez empfindet dies als eine Architektur, welche "komplett aus Ecken aufgebaut wurde". Man betritt das Haus – wenn man sich trotz der Nachbarn durch eine Zaunlücke traut – über eine fast frei tragende Brücke, die uns an Vittori Garatti's Instituto de suelos y fertilizantes erinnert, welches wir in dem Film Institute Above-Ground zu beschreiben versucht haben. Im Inneren muss man sich ohne die Hilfe sinnstiftender Wohnungseinrichtung, zwischen (fehlenden) Treppen, Durchgängen, Decken mit doppelter Raumhöhe und wechselnden Emporen zurechtfinden. Die Fassade changiert beständig zwischen ortsüblichen Holzjalousien und ausladenden, schweren Betonvolumina. Über dem ganzen thront das auf seinen Trägern weit heraus kragende Dach, das Schatten verspricht. Das Gebäude ist eine Antwort auf seine tropische Umgebung – eine Antwort, die beispielsweise das Schulthess-Gebäude von Richard Neutra, kurz zuvor fertig gestellt in einer eher internationalen modernistischen Form, nicht zu geben in der Lage ist.
Doch es fehlen Berichte aus der Wohnpraxis. Wir sind jedoch gar nicht sicher, ob das Haus von Juan F. Lamas jemals bewohnt wurde: der Termin der Fertigstellung fällt in das Jahr der Revolution, doch die Planung muss zuvor begonnen haben. Vielleicht verließen die Familienmitglieder der Lamas die Insel, wie so viele zu der Zeit. Vielleicht zogen keine neuen Bewohner ein, weil elementare Elemente fehlten, oder sanitäre Einrichtungen nicht fertiggestellt wurden. Gleichzeitig ist die Gegend nicht nah genug an den städtischen Behörden oder militärischen Einrichtungen, um es einer dahingehend orientierten Verwaltung zur Verfügung zu stellen. Ohnehin wäre es dafür wohl nicht groß genug und die Konstruktion zu offen, was es auch für Regierungsmitglieder unattraktiv macht.
Das Lamas-Haus steht leer. Unsere Besuche dokumentieren einen fortlaufenden Verfall. Jedes Mal, wenn wir wieder vorbei kommen, fehlt wieder etwas, das anderswo nötiger war, wie zuletzt die stählerne Treppe, die noch im September 2014 zum ersten der herausragenden Betonerker führte, oder eine Holzkonstruktion, die noch 2012 einen Erker ummantelte. Nur einmal, im Jahr 2009, schienen Renovierungsarbeiten an dem Objekt, das unseren Informationen nach dem kubanischen Staat gehört, begonnen zu haben. Wie sich herausstellte, waren diese Verschönerungen nur partiell und von temporärer Natur: Sie dienten für einen Filmdreh mit US-amerikanischer Unterstützung. In diesem Film, so hörten wir, ging es um jene Kubaner, die in den 1960ern, und im Konflikt mit der Entwicklung des Landes die Insel verließen.