Lee Miller
Es gibt offensichtlich einige menschliche Grundkonstellationen, die dazu führen, dass sich Menschen in unserer vorherrschenden jüdisch-christlich-modernistisch-kapitalistischen Gesellschaft zuverlässig nicht heimisch fühlen. Queer wurde so beschrieben, und queer und schwarz, man kann da addieren. Zustände, denen im Aufbau unseres gesellschaftlichen Gefüges so wenig Platz und Bewegungsfreiheit gegeben wird, dass es einem die Luft zum Atmen nimmt. Nach dem Besuch der Lee Miller Ausstellung in der Albertina in Wien zählt sich der Zustand „alternde Frau“ von selbst hinzu. Also besser dem zuvorkommend etwas anderes werden, zum Beispiel in den Krieg ziehen, in einem anderen Land sich anders, und anderswo, fremd werden, oder in einen anderen Menschen abspalten – Kinder also. Oder Drogen, und ja, trinken gibt es auch. Sie tat all das und es klappte alles nicht, das mit dem Kind nach kürzester Zeit, und die Flucht in den Krieg nur, bis der Krieg zu Ende war. Allgemeine Freude, und Lee Miller geht zurück zu ihrem Mann und verzweifelt dort an der für sie unakzeptablen Realität einer alternden Frau.
Viel später dann schreibt sie Kochbücher.
Das ist nun der zweite Hinweis aus einer Biografie, die so frei beginnt, dass es den, zumindest im Selbstbild, freien Männern rund um sie die Füße wegzieht, bis Man Ray hysterisch Ehe und Kinder für sie beide entwirft.
Der erste Hinweis bezog sich auf James Tiptree, Jr., die Schriftstellerin, über die Mark Schlegell im letzten Starship schrieb. Nach dem Lesen des Buchs über sie, die sich mit 50 zunächst als schreibender Mann selbst erfand, bis ihr die Leserschaft diese Illusion zerstörte, die dann nicht mehr schreiben konnte, die daraufhin zum Gewehr griff und die, die einem Vertrag folgend, den ihr Gefängnisaufenthalt im Zustand „alternde Frau“ ihr diktierte, und letztlich dann doch gegen den Willen ihres Mannes, erst ihn und dann sich selbst erschoss, war ich einigermaßen verstört. Und dann Lee Miller auch noch. Hört auf zu arbeiten, kann weder sich noch andere Menschen sehen oder fotografieren. Wird depressiv.
Am Interessantesten aber war es in der Ausstellung die historische Verbindung von Fotografie und kleinen Formaten zu sehen. Eine Verbindung, die es nicht mehr gibt – für das zeitgenössische Display wurden denn auch zwei ihrer Fotografien auf Raumgröße aufgeblasen. Lee Millers Abzüge aber sind nur ca. 25 x 18 cm groß. Klein. Und man bemerkt das Gegenüber, das die Fotografie in ihrem Entstehen zu den anderen bildnerischen Medien war, in ihrem völlig anderen Verständnis von Detail und Format, maximaler Auflösung auf minimalem Raum. Entsprechend nahe steht man in der Ausstellung an der Wand.
Lee Miller, bis 16. August 2015, Albertina, Wien
James Tiptree, Jr.; The double Life of Alice Sheldon, by Julie Philips