Mollicutes
Woraus eine Sache besteht, entscheidet, inwiefern diese Sache in ihrem naturgemäßen Umfeld bestehen kann, und auch, wogegen sie anzugehen vermag. Woraus ist es denn gebaut? Und erlaubt das etwa Rückschlüsse, wodurch es gezogen wird? Gegen den Dreck wird geschlagen und durch denselben Dreck gestapft. Dabei bleiben das Richtungsangaben und schmeichelnde Heucheleien. Himmelsrichtungen lassen sich leichterhand an Fingern abzählen. Doch nach unten zieht es alle. Ist deshalb Gravitation die eigentlich spirituelle Erfahrung unserer Tage? Körper im Durchzug von Körpern gezogen, Hauptsache ausgezogen. Hüllenlos und in die Ferne zielend. Worin kleiden wir uns denn? Von Berlin bis ins All geschleudert. Weil alle nach oben wollen? Und woraus wird die Struktur des Gesamten geschnitten? Unsere Geschichten und Helden werden heutzutage vorrangig in Fragmente aufgetrennt und gelistet und doch liegen sie der Großen Erzählung zugrunde. Es ist eben die Suche nach tiefliegenden Bedeutungspunkten, welche – entgegen einem eigentlich abzuwehrenden Tiefpunkt – uns unsere Kluft schaufelt. Und was produziert den gemeinen Zusammenhang? Es bleibt das Fleisch, es ist das Gewebe! Material! Es ist doch wie bei einem Gebäude. Und was bedeutet das? Stell dir vor, ein Eimer randvoll mit Wasser oder einfach nur Kompost, also alles fermentiert und ausgedacht. Dass all das Gestaltung ist und bleibt, ist nicht der springende Punkt und doch muss es möglich sein, gerade an diesem Punkt einen Schritt zurück zu gehen. Back to the Future! Das Paradebeispiel einer Konstruktion. Stell dir vor, es würde jemand das Fleisch, also gut das Innere, es muss ja nicht so dramatisch … es würde also gelten, das Innere eines Gebäudes zu beleuchten, hervorzuheben, ausgeliefert wie bei einem Querschnitt, als würde der Chronist – der Fuchs, der Dieb – beim Verzählen der Jahresringe erwischt. Und wenn es darum geht, das Innere heraus zu schneiden, damit Bruchstücke übrig bleiben, die sich nicht zusammen setzen lassen? Was macht denn das Fleisch von Architektur aus? Das erinnert an Moravia und Cardinale. Das klingt, als wären das Kirchen. Es sind aber Menschen, die sich 1961 in Moravias Arbeitszimmer im Auftrag des amerikanischen Esquire Magazins zur Unterhaltung begegneten. (Alberto Moravia eröffnet das Interview mit der Bemerkung, er interessiere sich weder für Claudia Cardinales Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft noch für ihre Meinung über Politik, Liebe, Kunst, Frauen und Männer, sondern wolle sie als „Objekt im Raum“, als physische Erscheinung befragen, durch die allein sie sich von allen anderen Menschen unterscheide.) Die absolute Beschreibung des Äußeren also und die totale Vernachlässigung der Inhalte, wenn Träume als ihr eigenes Material gewertet werden. Da sass dann der verkopfte Typ, an seiner Schreibmaschine, und tippte das Gespräch mit der strahlend schönen Frau live ab, so nervös, dass angeblich mehrmals die Maschine auf den Boden knallte. Und welchen Warhol haben wir uns denn verdient? Und was kann das Wort schleißig heute noch leisten? Gut, es ist das Material einer Sache oder eines Körpers, welche diese Sache oder diesen Körper ausmacht. Und über Kunstwerke wollen wir hier erst gar nicht anfangen zu reden. Infrastruktur, dass ich nicht lache.
Claudia Cardinale: Ein etwas ungewöhnliches Gespräch, Alberto Moravia, Schirmer Mosel, 2010