Starship, we have a problem.
Starship, we have a problem. It has become weird. We told you, you will be informed timely. Yes, we have worries. Yes, we collected some answers. Read on in German.
Spätestens seit im Laufe des 24. Juni 2016 klar wurde, dass eine knappe Mehrheit der Briten und Britinnen für „Leave“ gestimmt hatten, ist einiges im Argen auf der Insel. Das Britische Pfund ist erst mal gesunken, höhere Arbeitslosenzahlen sind absehbar. Die superreichen „High Net Worth Individuals“ aber können sich neue Pässe kaufen, wo sie wollen – Portugal, Österreich, Antillen, Panama. Die Schweizer Firma Henley and Partners bietet Global Citizenship-Seminare und neue Nationalitäten an. Einige wenige also haben exklusiven Zugang zur globalen Welt, während Proteste gegen Globalismus und Globalisierung die genervten Massen auf nationaler Ebene aufrühren – in der populistischen Forderung nach dem Brexit steckte auch eine Absage an die Globalisierung. Im Kern der Abstimmung ging es konkret um Geld und den britischen Haushalt. Folgen wir diesem Kernthema und zoomen jetzt vom Grossen auf das scheinbar Kleine. Der Himmel. Vier Wände und ein Dach. Treten wir dann wieder über die Türschwelle in den öffentlichen Raum. Wir sprachen mit Künstler-innen, einer Autorin und einer Galeristin über ihre Strategien im Haushalt, wie und wo sie sich zuhause fühlen und fragten sie nach ihren Gedanken zu einer Entscheidung, nach der in ihrem Land zukünftig weniger Europa drin sein soll.
Was fängst du mit dem Begriff Haushalt an?
Nicole Wermers: Es gibt jede Menge Routinen, seltsame Improvisationen und umständliche Arten, Dinge zu machen, die in einem besser organisierten Haushalt oder bei einer Trennung von Wohnen und Arbeiten vermutlich nicht vorkommen würden.
Kate Cooper: Ich glaube, es kann zu einem Bewältigungsmechanismus werden; ich fange mitten in stressigen Situationen mit dem Aufräumen an, das ist wahrscheinlich ein sehr weibliches Kli-schee. Neulich habe ich nachts einen Film gesehen, in dem ein Kind vermisst wird. Die von Susan Sarandon gespielte Person taut den Gefrierschrank ab, während sie auf Nachricht wartet. Für mich machte das total Sinn.
Nicole Wermers: Ich verbinde den Begriff vor allem mit Ökonomie und auch der Ökonomisierung von menschlichen Beziehungen insbesondere in der Familie. Der Begriff Familie bezeichnet ja auch passenderweise ursprünglich die Anzahl von Sklaven, die zu einem alt-römischen Haushalt gehörten.
Hayley Newman: Man kann den Haushalt auch als Mikrokosmos größerer sozialer und gesellschaftlicher Verschiebungen sehen, in dem Auswirkungen der Regierungspolitik und Positionen zu Gender durchlebt, nachempfunden und umgesetzt werden.
Kate Cooper: Ich merke, je älter ich werde, dass ich nicht mehr mit der Arbeit beginnen kann, wenn nicht alles sauber ist oder zumindest aufgeräumt. Vielleicht hat das mit dem Gefühl zu tun, prekär zu leben: Ich nehme mir gerne eine halbe Stunde, um meine kleine Welt wieder in Ordnung zu bringen. Ordnung halten – wenn man sowieso die ganze Zeit die Kontrolle über Dinge verliert.
Rózsa Farkas: Ich habe das Gefühl, dass ich Hausarbeit damit assoziiere, Kinder aufzuziehen – was mir problematisch vorkommt, weil es der Hausarbeit einen irgendwie pseudo-biologischen Aspekt zuweist.
Kate Cooper: Für mich ist der Haushalt ein Ort, der stabil, gut gemanagt und sicher ist – es ist auch eine Form von Administration und Arbeit. Irgendwo eine Basis zu haben, einen Ort, der nicht nur ein Bett in einem Raum zum Schlafen ist, setzt so viel Arbeit voraus. Mich interessiert diese große Menge Arbeit.
Fühlst du dich in Großbritannien zuhause?
Kate Cooper: Da ich aus Liverpool komme, hätte meine Familie sich nie als ‚britisch‘ oder ‚englisch‘ verstanden. Obwohl wir das natürlich waren.
Rózsa Farkas: Da ich aus London komme, habe ich mich immer wie eine Londonerin gefühlt, nicht wie eine Britin – das liegt auch an meinen ungarischen und irischen Wurzeln.
Hayley Newman: London ist seit 28 Jahren meine Wahlheimat, und obwohl ich seit dem Brexit immer wieder rumfantasiert habe, zu gehen, hält mich vieles hier – Familie, Freunde und Arbeit.
Sharon Dodua Otoo: Es ist auf jeden Fall ein Privileg, die britische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Nur weil ich zufällig auf diesem Stück Erde, zu jenem Zeitpunkt geboren worden bin, darf ich nahezu überall hinreisen, wo auch immer ich hin will und darf mich politisch in GB voll engagieren. Das bringt Verantwortung mit sich.
Hayley Newman: London ist eine globale Stadt und ich hoffe, dass das so bleibt, und dass wir weiterhin von den kulturellen Einflüssen profitieren, die das Leben hier mit sich bringt.
Rózsa Farkas: Wenn ich jetzt in andere europäische Länder fahre, ist es mir peinlich, Britin zu sein. Ich fühle mich nicht britisch, weiß aber andererseits auch nicht, ob ich das je getan habe.
Kate Cooper: Ich habe mich wahrscheinlich schon immer mehr Europa und einer internationalen Gemeinschaft zugehörig gefühlt als in irgendeiner Weise englisch. In der Kunstgemeinde sind die Backgrounds und Nationalitäten so gemischt und verschieden, dass Themen wie Nationalstolz oder wohin-man-gehört auf eine gesunde Weise dauernd in Frage gestellt werden.
Hayley Newman: Ich spreche fließend Deutsch, kann ein wenig Italienisch und verstehe mich als Europäerin.
Nicole Wermers: Ich bin Anfang des Jahres einer Baugruppe in Berlin beigetreten; das Timing entpuppt sich jetzt als ganz passend.
Wie geht es dir mit dem Brexit?
Kate Cooper: Als der Brexit passierte, hatten wir alle einen Schock.
Nicole Wermers: Ich würde sagen, dass momentan ziemliches Chaos herrscht.
Rózsa Farkas: Ich konnte nicht glauben, dass es passiert war. Jetzt denke ich jeden Tag, dass es nicht passiert ist, und dass ich ein neues Zuhause finden müsste. Ich fürchte, dass das mit einem britischen Pass nicht einfach werden wird.
Sharon Dodua Otoo: Ich könnte mir vorstellen, irgendwann in der fernen Zukunft wieder in GB zu wohnen, aber der Brexit ist natürlich echt ein Minuspunkt.
Hayley Newman: Die Position unserer Regierung ohne die EU zu Menschenrechten und Umweltpolitik macht mir Sorgen.
Kate Cooper: Es gibt eine riesige Kluft zwischen den Generationen, aber auch eine Kluft zwischen arm und reich. Es ist schwierig, da richtig ranzugehen, aber ich glaube, wir müssen es versuchen.
Nicole Wermers: Das Haushaltsdefizit der Briten ist ja ziemlich hoch und wird durch das momentane Durcheinander und den Fall des Britischen Pfunds sehr deutlich. Viel schlimmer finde ich allerdings die momentan kursierenden Lösungsvorschläge wie die Neuerfindung von Großbritannien als Steuerparadies.
Hayley Newman: Wie viele Andere denke auch ich, dass hier Vieles in Ordnung gebracht werden muss. Die politische Situation ist schrecklich, aber es ist immer noch mein Zuhause.
Rózsa Farkas: Das einzig Positive, was ich aus dem Abscheu und der Entfremdung, die ich post-Brexit empfinde, ziehen kann, ist, dass es dazu führt, dass man den Nationalstaat noch mehr ablehnt, versteht und, hoffentlich, demontiert.
Nachklapp:
Zur Vorbereitung auf diesen Text haben wir uns das Büchlein The Architect and the Housewife (1999) von Frances Stark angeschaut, in dem die kalifornische Künstlerin sich mit der Stelle, an der das
Private auf das Öffentliche trifft, beschäftigt und auf eine poetische Art u.a. über Genderrollen, Haushalt und Möbel nachdenkt. In Viv Albertines gerade auf deutsch erschienener Autobiograpie A typical Girl haben wir gelesen, wie die ehemalige Slits-Gitarristin von einer Vorreiterin in Londons Musikszene über Hausfrau und Mutter zur geschiedenen Singer-Songwriterin transformiert. Dazu passte auch Joanna Hoggs Film Exhibition, ein Spielfilm über die Ehe zweier Künstler / innen und ein Haus; in den Hauptrollen besetzt mit den zwei Laien Viv Albertine und Liam Gillick. In all diesen Quellen spielt der Brexit allerdings (noch) gar keine Rolle. Und deswegen kommen sie hier (fast) gar nicht vor. Empfehlen möchten wir sie trotzdem.
Wir danken:
Kate Cooper: geb. in Liverpool, lebt z.Zt. in Amsterdam, Künstlerin, Mitbegründerin und Leiterin der Künstlerorganisation Auto Italia in London.
Rózsa Farkas: geb. in London, Galeristin und Autorin, leitet die Londoner Galerie Arcadia Missa.
Hayley Newman: geb. in Guildford, lebt in London, Künstlerin, unterrichtet an der Slade School of Fine Arts.
Sharon Dodua Otoo: geb. in London, lebt in Berlin, Schriftstellerin, Aktivistin, Herausgeberin, Mutter von drei Kindern, Gewinnerin des Bachmannpreises 2016.
Nicole Wermers: geb. in Emsdetten, lebt in London, Künstlerin, war 2015 für den Turner Prize nominiert.