Eine schmutzig-weisse Schweizerin
Virgil Abloh ist nicht vom Himmel gefallen. Er tauchte bereits 2009 als Teil der Entourage von Kanye West bei der Pariser Fashion Week auf. Eine Gruppe schwarzer Super-Konsumenten, die sich uneingeladen Eintritt verschafft, zu einer der vielen Zonen, von denen sie ausgeschlossen wird. Der Auftritt wirkte so schillernd, dass selbst die Fernsehserie South Park ihn verwurstete. Acht Jahre später wirkt Abloh angekommen. Die Schau seiner Marke Off White wird in Paris als rauschender Erfolg gefeiert. Zara verkauft billige Raubkopien seiner Schuhe, was er als Validierung betrachtet. Ikea lässt sich von ihm die Einrichtung der bald ausziehenden Jugend designen. Rem Koolhaas diskutiert mit ihm in der jüngsten Ausgabe des Magazins System, während beide aus dem hohen Stockwerk über die Weite der Stadt blicken. Nur mein Sohn Maku, der mich zuerst auf Abloh brachte, glaubt, es ist vorbei und stößt seine Off White-Klamotten ab.
Abloh erzählt den Erfolg seiner Firma als Ermächtigung. Er jedenfalls betrachtet ihn als modehistorische Zäsur. Mit ihm ginge die Epoche von Prêt-à-porter zu Ende. Das, womit Yves Saint Laurent die Welt verändert habe, sei vorbei. Streetwear besetze jetzt die Königsposition in Paris und Off White werde das neue Hermès. Aber vielleicht ist auch das so ironisch gemeint, wie jene Geste, mit der er seine Kopfhörer in einer Louis Vuitton Handtasche transportiert. Ich finde das auch lustig, sehe aber keinen Bedarf nach einer Wiederbelebung von Ironie an sich. Keinen Bedarf nach jenen Sprachspielen, in denen eine auf Trennung aufgebaute Welt, noch einmal zusätzlich auf Distanz gehalten wird. Stabilisiert Ironie nicht die falsche Freiheit? Nun lesen sich manche Abloh-Aussagen wie: „Die Welt produziert Wellen. Surfe oder ertrinke. Du entscheidest“. („The World produces waves. Surf or drown. You decide“) aber nicht wirklich ironisch, sondern klingen nach neoliberalen Parolen und dem Wunsch, alles im Griff zu haben. Das falsche Versprechen, ich könnte alles entscheiden, wurde just in dem Moment gepostet, als sich die potentiellen Käufer*innen eines von Abloh überarbeiteten Nike-Schuhs um diesen bewerben durften. Die Sieger des Spiels („raffle“) gewinnen, sich die Schuhe kaufen zu dürfen. Schon über den Ausgang des Spiels entscheide ich also nicht mehr. Es ist ein Glücksspiel, aber ich ertrinke auch nicht ohne den Schuh. Als sei das noch nicht verdreht genug, wird der Werbespruch zum Schuh-drop nicht etwa wie gewöhnlich auf einem Plakat oder in einer Anzeige geschaltet, sondern über eine von Hans Ulrich Obrist kuratierte Instagram-Seite, auf der Künstler*innen ein auf einem Post it-Zettelchen gefertigtes Kunstwerk ausstellen. Gilt Werbung jetzt wieder als Kunst? Nein, es hat sich einfach so ergeben oder folgte einer Dringlichkeit, in der Abloh anscheinend so neu erscheint, dass er zunächst unter Kunst rubriziert werden muss. Ich verstehe schon, warum Obrist Mode gerade interessanter findet als eine weitere Ausstellung zu kuratieren. Im Falle von Abloh kann ich mich aber nicht ganz des Eindrucks erwehren, als erkenne Obrist etwas wieder, das ihm vertraut ist. Abloh tut selbst viel herum mit der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts. Mit Verweis auf seinen „Anwalt“, Marcel Duchamp erklärt Abloh, warum heute nichts mehr jemandem gehört und warum es nicht mehr darum geht, wer etwas erfindet, sondern wie damit umgegangen wird, beziehungsweise wie das Zitierte in veränderte Zusammenhänge gestellt wird. Der Gedanke, copy&paste durch das Readymade zu legitimieren, erfindet das Rad allerdings nicht neu. Aber wer will schon neu? Abloh greift lieber zu den etwas abgehangenen Anführungszeichen, den Satzzeichen der Postmoderne schlechthin. Sie sind mittlerweile zum Glück fast aus den akademischen Texten verschwunden, jenen mit Zitat-Marken übersäten Dokumenten der 90er Jahre, in denen sie oft wenig mehr zu sagen hatten, als dass jedes auf etwas Konkretes verweisendes Wort lieber mit der formalen Kneifzange des Anführungszeichens angefasst werden sollte. Abloh verwendet die Gänsefüße jetzt wieder für alles und sei es, um auf einen Pappkarton „SCULPTURE“ zu schreiben. IKEA, Obrist und OMA finden das super. Mir sticht ins Auge, dass das Wort da in Helvetica steht. Abloh, der die Helvetica ständig verwendet, erklärt dazu, die Helvetica sei für ihn die Möglichkeit, eine Handvoll zufälliger Dinge zu einer Einheit zu verschmelzen. Und dies sei auch die Denkart hinter der Helvetica. Deshalb, schließt Abloh, könnte Mode oder ein kommerzielles Produkt künstlerisch interessanter sein als Kunst – und das sei genau der Konflikt, der gerade ausgefochten würde. Und deshalb gingen Kunststudent*innen heute in die Mode statt in den Kunstbetrieb.
Ich gebe zu, ich fand Mode dieses Jahr auch interessanter als Kunst, aber ich wäre bisher nicht auf den Gedanken gekommen, eine der Ursachen dafür in der Helvetica zu erkennen, auch wenn ich ständig auf sie traf. Nun sieht die Helvetica immer irgendwie modern aus. Sie sieht nach einer Gegebenheit aus, weshalb sie nicht zufällig, als Schrift für die Warnung gewählt wurde, dass Rauchen tötet. Und sie muss in der EU verwendet werden, wenn gesagt werden soll: Smoking kills. Und selbst diese Helvetica, die auf diesen potentiellen Tod verweist, sieht irgendwie modern aus. Dabei markierte die Helvetica genau genommen den Einstieg in das postmoderne Design und entstand als es nicht mehr möglich war, modern zu sein; zu Beginn jener Zeit, als die alte Welt im Sterben lag und die neue noch nicht geboren war; in jener fordernden Phase des Übergangs, die immer noch nicht vorbei zu sein scheint.
Die von allem Unnötigen entschlackte Helvetica erblickte 1956 in der Haas’schen Schriftengießerei in Münchenstein bei Basel das Licht der Welt. Vermarktet wurde die Schweizerin als „Wundermittel für Werbemittelgestalter gegen die Futura-Müdigkeit“. Ein Slogan, der – und das überrascht –, im Nachkriegsdeutschland besonders gut ankam. Hier fand die als neutral, charakterlos, unauffällig und anonym geltende Helvetica in den Sechzigerjahren ihren Markt und wurde die Schrift der Entnazifizierung des Corporate Designs der deutschen Industrie. Lufthansa, Bayer, Hoechst, Deutsche Bahn, BASF und BMW gaben sich damit ein von der Vergangenheit bereinigtes Antlitz. Re-education-Projekte, wie die documenta, fanden mit ihr den passenden Look. Sie war die Schrift der deutschen Postmoderne, des Versuchs eines Neuanfangs nach der fürchterlichen Allianz von moderner Technik und reaktionärem Denken. In den Achtzigern wirkte ihr Postmodernismus zunehmend einfallslos. Die Schrift überwinterte im Reduktionismus von Helmut Lang und Heimo Zobernig in Wien, um anschließend im Apple Design der Nuller-Jahre ihr Comeback zu erleben. Jetzt also wieder die Helvetica.
Off White lässt sich ohne Hip-Hop nicht verstehen. Mag sein hier schließt sich der Kreis zu Adidas und BMW. Off White lässt sich auch ohne Raf Simons nicht verstehen, den Abloh als „Gott“ bezeichnet. Ein Gott, der Abloh umgekehrt leider nicht besonders „originell“ findet. Und von Simons führt die Spur direkt zu dessen Vorbild Helmut Lang und zurück zur Helvetica.
Helmut Lang ist überhaupt eine zentrale Bezugsgröße der Entwicklungen des vergangenen Herbstes. So auch für Shayne Oliver, dessen Marke Hood by Air neben Off White und Telfar im Fokus der institutionellen Anerkennung des Herbstes 2017 stand. Von mir aus hätte Oliver aber gerne darauf verzichten können, neunziger Jahre Stücke von Helmut Lang zu re-editieren und nicht nur, weil er damit zwangsläufig nochmals die Helvetica ins Spiel brachte. Sondern, weil das Ergebnis leider einfach billig und einfallslos aussah. Man denkt, wie schön das einmal war, als Minimal noch für mich sorgte. Aber wer will schon so denken. Ein richtig gutes Lied remixt man einfach nicht. Deshalb gefielen am großen Wechsel 2017 am besten die Helvetica-freien Uniformen, die Telfar Clemens für die Burgerkette White Castle gestaltete. Eine tatsächlich getragene Mitarbeiter-Uniform als High-Fashion zu betrachten oder wichtiger als diese zu nehmen, übersetzt den symbolischen Angriff des Labels Vetements, ihre Adaption der DHL-Uniform, nun ganz konkret in die Realität der Arbeitswelt. Es beantwortet die wesentliche Frage der Mode, die Klassenfrage, mit der Behauptung oder dem Versuch, die Burgerketten-Mitarbeiter am besten anzuziehen. Und Telfar tut dies, ganz ohne die alten Werte, wie Louis Vuitton (bei Supreme) oder Hermès (bei Off White) zu bestätigen. Nichts soll sein, wie wir es kannten.