Frau die noch etwas vorhat
Auf einer dieser wandernden Suchen, die das Internet anbietet, komme ich von meinem eigentlichen Interesse, nämlich, ob es ein bestimmtes Tool, einen weiteren Kunstgriff benötigt, um aus einem Hörstück (Soundpiece) einen Podcast zu machen, auf unsere facebook Seite und mitten hinein in die Diskussion um Kasper Königs Auftritt vis-à-vis der Künstlerin Cana Bilir-Meier, und weil es Sabeth Buchmann ist, von der der erste Hinweis stammt, folge ich ihm und lese vor allem auch die erste Notiz, die Cana Bilir-Meier selbst nach dem Abend an den Münchner Kammerspielen geschrieben hatte. In diesem Beitrag wird (als eigentlicher Adressat von Königs Worten) die türkische Community genannt und mit dem darin liegenden Community das Wort niedergeschrieben, auf das sich diese Ausgabe von Starship in ihrem Entstehen bezogen hatte und es wird ein weiterer zu untersuchender Fakt, oder ein gedanklicher, nun hin und herzurollender Stein hinzugefügt, in einem ganzen Steinfeld, das sich in letzter Zeit vor meinen Augen ausbreitet.
Während sich die niederländische Zeitschrift „Fucking Good Art“ in ihrer Unterzeile: In humble service to our community auf diesen Begriff in einer zärtlich-ironischen Art beziehen konnte und kann, war in den jeweils wechselnden Redaktionsräumen von Starship die Vorstellung von Community nie zur Sprache gekommen. Es gab, im Gegensatz dazu, immer eher eine Art sprachliche Wolke, die uns die letzten zwanzig Jahre zu verfolgen schien und die uns immer wieder beregnete, mit dem hier und da geäußerten Vorwurf nur innerhalb, aus, und für eine bestimmte Community, die ja auf deutsch in eigenartiger sprachlicher Verkürzung Clique oder Klüngel ausgesprochen wird, zu produzieren. Dies geschah allerdings nicht, um damit die Zeitschrift zu loben. Auch lag darin nicht die Vorstellung, dass sich aus dieser Community eine spezifische und eventuell auch durch verschiedene Stimmen präziser ausformulierte Haltung herauslesen lassen könnte, die ja in einer solchen Gemeinschaft tendenziell entstehen kann und dennoch auch für andere Diskurse interessant sein könnte. Es wurde eher als eine Art diskursives Manko beschrieben und ließ uns unberaten, und unerkannt, zurück. Es benötigte eventuell – zumindest für mich – Silvia Federicis Hinweis, dass die Desavourierung eines Konzepts eine der wirkungsvollsten Waffen gegen eben die Inhalte dieses Konzepts ist und dass sich ihr Beispiel der gesellschaftlichen Verächtlichmachung jeglicher Gemeinschaft von Frauen durch pejorative Attribute (Häkelgruppe, Waschweibergerede) durchaus auch auf andere Felder ausbreiten lässt. Während also noch 1996 für ein miteinander kommunizierendes Kunstfeld der Begriff Zusammenhang gefunden und von Juliane Rebentisch dann auch mit einem Text unterlegt werden konnte, und mir das damals, zwar sicherlich auch nicht völlig widerspruchsfrei – aber das war damals so – Sinn ergab, sehe ich in Hinsicht auf irgendwelche sich aus den gemeinsamen Belangen des Kunstmachens ergebenden Communities in Berlin schlicht gar nichts. Auch das Aufschreiben eines Begriffs wie Artistic Community fühlt sich widersinnig an, schlicht falsch. Und gehe ich weiter zurück und nenne das die Bohème, sehe ich zwar Karl Marx’ immer noch beachtenswerte Definition aus dem achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte, aber vor allem Staffeleien und Baretmützen, und nenne ich es Art Action Groups, wie sie um 2000 aus einem Konzept der späten 60er-Jahre wieder aufgegriffen wurden, sehe ich den Begriff im selben Jahr dort noch auf der Strecke bleiben und eben fallen mir noch Fred Sandbacks Pedestrians ein, und damit wäre vielleicht zum Schluss der Begriff für diejenige Community gefunden, von der sich eben kein belastbares, oder bewohnbares Konzept aus Anliegen, Wünschen, Ohnmachten, Ausdrucksweisen, Produktionsmitteln und Solidaritäten mehr herstellen ließe. Im ein wenig naiv und lächerlich nunmehr Herumstehen dieser Worte hat sich möglicherweise das Anliegen verabschiedet, jedenfalls ein Gegenüber auf dem eigenen Feld, damit auch die Notwendigkeit, die ja gleichzeitig auch eine Selbstverständlichkeit (und damit Erleichterung) bedingt, oder bedingt hatte, dafür etwas zu schreiben, und sich für etwas zu äußern. In persönlichster Hinsicht verbindet sich damit ein unklares Gefühl der Enteignung, als wäre einem etwas weggenommen worden und das kann ja auch so sein, wenn man es nie gehabt hat.
Dies umso mehr als ich, wie wahrscheinlich viele, mit großem Respekt, und mehr noch, mit allerhand Hoffnung, bemerke, dass es Anliegen gibt, die den Begriff der Community für die, denen an diesen Anliegen gelegen ist, verwenden können. Und während der Text (in Starship 16), in dem Leo Bersani dafür plädiert die Entwicklung des anderen (des anderen Sex, des anderen Freundschaftsbegriffs) in der Gay Community als eben ein anderes Modell des Zusammenlebens zu untersuchen, aus dem Jahr 1996 datiert, in dieser Hinsicht also alt ist, ist es mehr die Erfahrung der letzten documenta und der letzten Berlin Biennale, die möglicherweise dem Kunstfeld, jedenfalls mir, zu verstehen gegeben hatten, dass es Communities gibt, die durchaus auch Schnittstellen mit dem Kunstfeld aufweisen, deren Anliegen aber eine größere innerliche Verbindlichkeit herstellen als dies Communities tun, die sich über das gemeinsame Produkt oder die gemeinsame Praxis Kunst für teilweise die selben Personen definieren. Dass sie mich, die ich auf der Suche nach Communities bin, ausschließen, fand ich zunächst diskursiv frustrierend, es war mir aber auch unmittelbar klar, dass, Frustration hin oder her, es mir durchaus zumutbar war, das erstens auszuhalten, zweitens halt einmal nichts zu meinen, und mich im übrigen darauf zu freuen, dass möglicherweise darin etwas geschehen könnte, das auch all das, was ohnedies an diesem Betrieb auch für mich schwer erträglich war (Rassismus, Sexismus, die sich in Liebe für große Namen und eine Politik des Entre-Nous äussern), in Frage stellen würde. Und das eventuell besser und radikaler machen würde als eigene Versuche bisher gediehen waren. Es ist allerdings auch durchaus möglich, dass diese Communities sich möglicherweise gar nicht um diese, meine, Probleme kümmern werden, die sie ja schließlich nicht zu verantworten haben (und deren Leidtragende sie ja eher sind) und uns Menschen ohne Community mit all den Mechanismen, die ihren Communities ja erst diese Urgenz gegeben hatten (Rassismus, Sexismus again), einfach allein lassen könnten.
Die Psychoanalyse lehrt nun, dass es ein Außen nicht gibt, und ein Wollen nach Nicht-Teilhabe ja bereits eingeschrieben ist, als selbst aus der Gesellschaft erzeugt und sie letztlich wieder konstituierend. Im letzten Jahr formte sich aber plötzlich das dann doch auch fröhliche Bild, dass es passieren könnte, dass uns – den Menschen ohne Community (aber mit Psychoanalyse) – eben gerade diese Psychoanalyse dankend von jenen Sezessionisten überlassen werden könnte („Könnt ihr gern haben, können wir ohnedies nicht brauchen!“). Wir, mit Psychoanalyse, würden uns dann beweisen, dass ein solcher Separatismus gar nicht möglich wäre und weiterhin alle Sezessionisten als eine Art diskursive Schatten im gesamtgesellschaftlichen psychoanalytischen Schaubild miterzählen. Die aber, die sich, basierend auf unserer Theorie, gar nicht abspalten könnten, würden sich derweil recht dreidimensional und bunt irgendwo anders vergnügen, in einem, eigentlich von derselben Psychoanalyse einstmals erträumten, möglicherweise befreiteren Leben (aber eben ohne diese Maske der Transparenz).
Die Bühne den anderen zu überlassen und sie unbemerkt seitlich zu verlassen, erinnert mich an Giorgio Agambens Diskurs über Pulcinella, der neapolitanischen Figur in der Commedia dell’arte. Seine Gestalt nimmt Agamben zum einen aus den Fresken Tiepolos (Giandomenico und Giambattista), zum anderen aus den Theaterstücken rund um diese Figur. In einem Kapitel des Pulcinella gewidmeten Buches beschreibt Agamben Pulcinella in seiner eigenen Welt, die neben ihm, der nur zu Hälfte Mensch, zur anderen Hälfte aber eine Art Huhn ist (oder Abkömmling dessen, was man Geflügel nennt), weitere Tier-Mensch Lebewesen beherbergt, Zentauren und Minotauren, und viele weitere Pulcinellas. Es könnte allerdings auch sein, dass es diese Parallelwelt gar nicht gibt (oder dass sie sich mit der überschneidet, von der Mark von Schlegells Beitrag in diesem Heft spricht). Pulcinella hat jedenfalls auch einen Platz in dem, was man heutzutage die Kohlenstoffwelt nennt, oder in ruinenhaften Überbleibseln davon. In deren Repräsentationsort, dem Theater, ist seine Rolle – laut Agamben – fest umrissen und sie besteht darin, einen Ausweg zu finden. Einen Weg, um sich aus der Szene zu entfernen, zu verschwinden, um an dem Drama auf der Bühne nicht teilzunehmen. Er wird zwar immer hinzugerufen, um Schwierigkeiten (zwischen Ehepartnern, Liebenden, Herrschaften, Polizei, Medizin – die Handlung des Stückes) zu lösen, ist aber an den jeweiligen Dramen überhaupt nicht interessiert, da sie ja in keinem Fall seine sind. Aber immer, wenn er schon fast weg ist, wird er zurückgerufen und man verlangt von ihm, an ihn gerichtete Fragen zu beantworten, seine Handlungen zu rechtfertigen, und den Akteuren zur Hand zu gehen. Irgendwann dämmert es ihm, dass man ihn nicht wird gehen lassen und so lange wird quälen, bis er doch alles beantwortet hat und meistens schafft er es zum Schluss nicht nur, endlich zu verschwinden, also sein Problem zu lösen, sondern zumeist auch noch die Probleme der anderen. Irgendwann allerdings dämmert es auch dem Zuschauer, dass es nicht darum geht, dass der Freier die keusche Angebetete bekommt, der Arzt den Kranken heilt, oder der Polizist den Bösen fängt, sondern dass es in Wahrheit darum geht, diese Konzepte, die aus dem Kranken den Kranken, aus der tugendhaften Frau die tugendhafte Frau und aus dem Bösen den Bösen machen, so schnell wie möglich zu verlassen, weil es etwas Besseres gibt – und diese Erkenntnis ist wiederum Pulcinella zu verdanken, der in diese Welt der Polizisten-Darsteller, Doktor-Darsteller, Verführer-Darsteller – Larven nannte man das früher – in seiner Art, so wie er halt ist, an sich, nur hineingeworfen ist, und darin ohnedies kaum etwas werden kann – auch wenn er sich manchmal als der eine oder andere verkleiden kann.
Auch die Strategie der Berlin Biennale schien es, die Bühne zu verlassen, ohne allzuviele Fragen zu beantworten und man muss sagen, es ist ihr in gewisser Weise gelungen, zum Beispiel, ohne so schöne kunstimmanente Probleme wie Ausstellungsarchitektur überhaupt mit dem kleinen Finger zu berühren oder ohne auf Fragen nach Gendergerechtigkeit und ausgewogener Territorialität zu antworten, die hier als die Fragen der anderen im Raum stehen gelassen wurden – Ihr wollt also wissen, wer wann wo geboren wurde?! Am Bildlichsten ließ sich dieser Zugang eventuell im Instagramaccount der Berlin Biennale sehen und im Wechsel vom Farbschema der letzten zur diesmaligen. Wobei ja jede Ausstellung in einer Weise eine Gemeinsamkeit zwischen verschiedenen Positionen herstellt, die frühere Berlin Biennale dies in ein Bild einer relativ verblassten Corporate Logik fasste, die letzte vor allem Personen im Durchgang durch eine Zeiteinheit zeigte, mit weitaus mehr Farbanteil im fotografischen Bild.
Nun ist die Commedia dell’arte der absolute Glücksfall einer Gesellschaft, die sich der Bedeutung dieser widerstrebenden Stimme bewusst ist, und der an deren Problemlösungskompetenz gelegen ist. Das war in unserer Gesellschaft ja durchgehend nicht so und wird nun in einer eigenartigen, ihre eigene Zurücknahme bereits mitdenkenden Gestik nachgeholt, deren einladender Teil aber vor allem das dahinter liegende Verkennen der Situation ausdrückt, nämlich, dass es aus einer Gesellschaft, die sich ja überhaupt erst im Ausschluss dieser Stimmen über Jahrhunderte formiert hat, gar nicht so viel anzubieten gibt, außer eben jene darin entwickelten Werte: Vereinzelung und Konkurrenz. Dies wäre auch schon in Schriften der Rivolta Femminile nachzulesen gewesen, in denen Carla Lonzi schreibt, dass die Einladung, als Frau nun in einer Gesellschaft aufzutreten, die sich im Ausschluss von eben jenen – Frauen – konstituiert hatte, keine Einladung war, die ihr auch nur Luft zum Atmen, geschweige denn einen Ort bot, um darin zu wachsen. Was sie statt dessen durch diese mit so großer Geste formulierten Einladung bekam, waren Aufnahmetests, Überwachung und Selbstzweifel, die sie dazu brachten, sich von allen anderen Ausgeschlossenen zu entsolidarisieren.
Es gab ja schon einmal eine große separationistische Bewegung, eben aus jener Rivolta Femminile und der Frauenbewegung heraus (und es ist z.B. Fulvia Carnevale und Giovanna Zapperi zu verdanken, dass diese wieder thematisiert wird) und es gab eine Anzahl von Künstlerinnen, die den Weg gingen, ein Feld – das Kunstfeld – zu verlassen, in der Erkenntnis, dass man darin zu etwas eingeladen würde, das sich in und mit der Verhinderung und Verächtlichmachung von weiblichen Künstlern über Jahrhunderte formiert hatte, und im Gedanken, dass es grundsätzlich ein anderer Ort sein müsste, als der, der auf seine Repräsentation durch die Hälfte der Menschheit über lange Zeit keinerlei Wert gelegt hätte.
Nun könnte man aus unserer heutigen Perspektive fragen: „Und, was ist passiert? Dann waren sie eben weg“, oder bedauernd feststellen, dass sich der bestehende Diskurs als der Mächtigere herausgestellt hat. Man könnte aber, und das entspricht leider meinem momentanen Gefühl, auch davon ausgehen, dass es dadurch zu einer weiteren Verarmung dieses Felds gekommen ist, und ihm ein weiterer formierender Zug hinzugefügt wurde, der der Entsolidarisierung. Und ich stelle mir dieses Kunstfeld nun ein wenig so vor wie das Bildnis des Dorian Gray und ihn selbst, nachdem er einen bigotten Akt des Gutseins begangen hat, um am nächsten Tag sein Bild wieder ein wenig verschönert zu sehen, und dann, beim Lüften des Vorhangs zusätzlich einen scheinheiligen Zug in der Visage betrachten kann.
Es ist für mich deshalb auch frustrierend, da es so aussieht, als wären all diese Stimmen, die bereits sehr früh auf einen grundlegenden Unterschied verwiesen haben, historisch gesehen wieder einmal auf ihrem eigenen Terrain am weitesten abgeschlagen. Und mit diesem grundlegenden Unterschied, der eigentlich auf der Hand liegt, meine ich den Unterschied zwischen dem Begriff der Communities und dem des Kommunitarismus. Denn nie konnte es, weder im Feminismus, noch im Begriff der black, gay oder türkischen Community darum gehen, über die Gesamtheit einer Gruppe Aussagen zu treffen – das wäre der Kommunitarismus –, sondern im genauen Gegenteil dazu geht es darum, darauf hinzuweisen, dass in einer von
Außen definierten Gruppe (Das Problem der Frau) und in deren gleichzeitiger Marginalisierung, Erfahrungen gemacht werden, die nicht nur genaue, oder eben genauere Analysen der sogenannten Mehrheitsgesellschaft hervorgebracht haben, sondern jedenfalls relevantere Erfahrungen in Bezug auf das Überleben an sich, und miteingeschlossen, die von den Gegnern am meisten gefürchtete, und deshalb desavouierte und bekämpfte Überlebensstrategie, die Solidarität.
In einem Erkennen, dass auch diese Strategie durch eben jene Gegner in eine Art Sippenhaft umgedeutet wird, sehe ich aber nun, dass neue, sich Gehör verschaffende Communities, in ihrer Solidarisierung diskursiv sogar bereit sind, diesen Weg zu gehen und einem Vorwurf, der ihnen jedenfalls gemacht werden würde, nämlich irgendwelches Verhalten irgend eines Gruppenmitglieds zu decken (oder aber, wenn es um Kunst geht: „schlechte“ Kunst), eben den Vorwurf des Kommunitarismus, auszuhalten. (Obwohl ich auch sehe, dass die Frauenbewegung auch das für eine Zeit auf sich genommen hat.)
Dass es möglicherweise diesmal also wirklich zu einer Verschiebung in einer gesamten Praxis kommen könnte, dass es also vielleicht ernst werden könnte, erlebte ich auf einem Panel der NYU, zu dem ich recht zufällig eingeladen war. Dort kam es plötzlich, nachdem Frank Wilderson über seine Vorstellung, bei der Formulierung einer Position, die auf der Erfahrung von Schmerz gegründet ist, zunächst einmal als Community allein gelassen zu werden, den notwendigen Raum zu erhalten, um diese Position selbst zu formulieren und darin eine Handlungsrahmen zu entwickeln, zu einer merkwürdigen Konkurrenz rund um eben jene Erfahrung. Sie wurde ihm geneidet, als hätte er damit ein Privileg formuliert. Und während man im Allgemeinen davon ausgehen sollte, dass es keinen großen Andrang rund um persönliche Erfahrungen der Marginalisierung und der Entrechtung gibt, gibt es doch, und das werden viele bestätigen können, eine Konkurrenz um die Darstellung der Erfahrung eben jener Marginalisierung. Es geht dann plötzlich nicht darum, aus eben jener Erfahrung als Zuhörer etwas selbst zu erfahren oder sie auch nur zuzulassen, sondern sie muss mit einer anderen ähnlichen Erfahrung möglichst austariert oder ausgehebelt werden. Und während diese Konkurrenz, um die Oberhoheit in der Darstellung der Entrechtung auf eine peinliche diskursive Praxis unserer Mehrheitsgesellschaft hinweist, zeigt sie doch, dass sich etwas bewegt. Die Konkurrenz entspringt aus dem Ernst-Nehmen des Gegenübers (wenn auch als falscher Reflex). Auch #metoo Erzählungen von Frauen wurden früher von Männern durch das Erzählen von Selbst-Erlebtem nicht auskonkurrenziert, sondern mitleidig belächelt.
Aus all dem mussten mir die Erzählungen aus New York über die einstweilen auch schon sieben Jahre zurückliegende Occupy Wall Street Bewegung wie ein eigenartiges außerzeitliches Phänomen vorkommen. Eine Solidarisierung der Kunstszene, einmal nicht mit den Besitzenden unter ihren Mitgliedern, sondern mit denen ohne Geld war jedenfalls von Berlin aus nicht zu denken und der Versuch von Haben und Brauchen einen ähnlichen Vorgang zu starten, stieß in großen Teilen der Kunstszene auf entweder gar nichts oder milde Verachtung. Und das kann ich auch nur so hinschreiben, weil es bei mir genauso war, und in nichts des Beschriebenen, dieses Haufens aus Indifferenz und Abgrenzung, kann ich mich ausnehmen und dennoch ist etwas passiert, zwischen Bersani und Berlin Biennale.
* zum Beispiel auch auf den proletarischen Stammtisch. Silvia Federici und mit ihr auch Hannah Black, und im letzten Starship Monika Senz, untersuchen das für die etymologische Entwertung des Begriffs Gossip.
** Siehe die 90er-Jahre Analyse der Künstler*innen als primäre Gentrifzierer, dann die Carl Schmidt-artigen Loyalitätsaufforderungen, die sich in wie auch immer bestehende Communities drängten (in Berlin, Volksbühnediskurs, anderswo anderes). Da war man schnell froh, damit nichts zu tun zu haben. Einstweilen sagen allerdings CSU und FPÖ geschulte Schüler*innen auf der Strasse vom Deutschlandfunk gefragt, dass man doch Zeichnen und Kunst und alles das, was man ohnedies nicht braucht, aus dem Lehrplan werfen sollte. Im allgemeinen Misstrauen gegenüber Künstler*innen ist man jedenfalls nicht alleine.