Rauchen für die Reichen
Es gibt Gründe, auf den Namen an der Haustür zu verzichten. Mal ist man unangemeldeter Untermieter und verzichtet darauf, seine in Buchstaben gegossene Marke zu setzen. Andere zeigen damit, dass sie Besseres zu tun haben, als ein Namensschild anzubringen.
Hinter Türen kann etwas verkauft werden. Der Verzicht auf den Namen an der Ladentür verbindet sich nicht selten mit dem lizenzfreien Alkoholverkauf. Illegale Bars versprechen meist aufregendere Nächte. Eine namenlose Tür kann etwas Exklusives haben.
Die Galerie Reena Spaulings hat kein Namensschild an der Tür und zuerst empfängt die Besucher eine Bar, während die Ausstellung auf einem Podest stattfindet, dessen Stufe erstiegen werden muss, wodurch man in einen Bühnenraum eintritt. Diesmal wird die theatralische Atmosphäre zusätzlich verstärkt, da der Boden, als sei es eine Schaubühnen-Inszenierung, von Klara Liden schräg nach oben gekippt wurde. Auf dem zur Decke geklappten Kunststoffparkett marschiert die Künstlerin in einer Videoprojektion als männlich wirkender Video-Avatar durch den New Yorker Financial district. Sie stellt sich ständig selbst ein Bein, stürzt auf den Asphalt und steht wieder auf. Schon beim Zusehen tun mir die Kniescheiben weh.
Der Titel der Ausstellung, Grounding, ist vieldeutig. Er bezeichnet Hausarrest, aber auch Blitzableitung oder das auf Grund laufen eine Schiffes. Der Begriff wird für die Landung nach einer psychedelischen Reise verwendet oder bei bestimmten Therapieformen für das Wiedererlangen der Bodenhaftung. Liden erweitert Grounding: Hinter der großen Projektion, die die Besucher durch eine kleine Bühnentür durchschreiten können, läuft auf einem kleinen Schirm ein weiteres Video. Es zeigt Liden zwei Wochen vor der Ausstellung in der leeren Galerie, die gefüllt werden soll. Zwischen den beiden Aufnahmen wird jener Druck spürbar, ständig aufzutreten, der regelmäßig zu Boden stürzen lässt.
Bei dem weiter oben am East Broadway gelegenen Ausstellungsraum Tramps geht das handgeschriebene, sich der Umgebung anpassende Schild in der Fülle provisorisch angebrachter Informationen unter. Statt rechtzeitig abzubiegen, laufe ich zunächst einmal in die Unübersichtlichkeit eines chinesischen Supermarktes. Nach kurzem Umherirren zwischen Früchten und Fisch finde ich dann einen Fahrstuhl. Die rudimentäre, wie aus einer anderen Zeit kommende Gestaltung der Webseite, verspricht das Format eines Artist-run-space im zweiten Stock. Dort empfängt mich das Labyrinth einer halbverlassenen Shoppingmall. Mehrere junge Frauen öffnen und schließen ein Dutzend kleiner, verglaster Läden, in denen neue Bilder von Kai Althoff hängen. In einigen Geschäften sind weiche, mauve-farbene Papierböden ausgelegt, deren Abfederung der Schritte in ein Wechselspiel mit dem metallenen Dröhnen der direkt über dem Dach des Einkaufszentrums über die Brooklyn Bridge fahrenden U-Bahnzüge korrespondieren. Manchen Räumen der Ausstellung mit dem Titel Häuptling klapperndes Geschirr sind Gerüche zugeordnet. Kurz frage ich mich: Wie viel Inszenierung vertragen die Bilder? Und wann sehe ich mal wieder eine Kai Althoff-Ausstellung ohne großen Bahnhof? Da alles perfekt inszeniert wirkt, frage ich mich weiter: Handelt es sich bei dem kleinen Plattenladen, der sich auf dem gleichen Stockwerk befindet und in dessen Schaufenster eine Platte mit elektronischer Musik aus Köln liegt, um einen Teil des Geruchs, der hier entfaltet werden soll? Bei meinem ersten Besuch wird meine Faszination für Althoffs neue Bilder, von denen ich mich gerne verführen lasse, von dem gemischten Gefühl untergraben, man hätte hier ein Shopping-Erlebnis der besonderen Art entwickelt. Es kommt mir so vor, als befände ich mich in der Simulation einer jungen, noch improvisierten Galerie.
Einiges fällt jedenfalls seltsam auf. Chloë Sevigny spaziert zwischen mit Seidenpapier verhängten Fenstern gerade durch die Märchenwelt und Matthew Higgs führt seinen Hund Olive spazieren. Naja, wir sind in New York, da kommt das schon vor. Und die nach dem Besonderen suchenden Gespräche der umherschweifenden Sammler*innen kaufen in der “besten Show in der Stadt” nicht gleich einen Althoff, sondern finden in dem kleinen Secondhand-Laden zum japanischen Flair der Ausstellung passend kuratierte Stücke von Issey Miyake.
Ist das die Fiktion einer außerordentlichen Welt, die der Erlebnishunger in den Metropolen des Neoliberalismus immer seltener findet? Oder ist hier am Rande von Chinatown jene Zukunft wahr geworden, die der Althoff-Titel der MoMA-Ausstellung Und dann überlasst mich den Mauerseglern vor zwei Jahren behauptete? Immerhin sind die Pfeiler der Brücke übersät mit den Ausscheidungen von Vögeln. Hinter der Oberfläche der romantischen und ein wenig melancholischen Inszenierung zeigt sich langsam die Wirklichkeit der geschickt verpackten Collabo einer Blue-Chip-Galerie mit dem neuen Modell des Ausstellungsraums in Post-off-Zeiten, in denen sich kaum noch jemand den Luxus leisten kann, einfach so Kunst zu zeigen. Fraglos ist das hier ein hervorragender Ort, um die gerade im Aufschwung befindlichen Preise der Kölner Nach-Kippenberger-Dekade, jener aus Sicht der Sammlungsberater*innen immer noch als unterbewertet geltenden Preise, der Künstler-Künstler auszuhandeln ohne sie ganz von ihrem kulturellen Kapital abtrennen zu müssen. Gemanagt wird Tramps von Parinaz Mogadassi, einer “ehemaligen” Mitarbeiterin der Galerie Michael Werner, dem Stammhaus von Kai Althoff, der Baselitz und Lüpertz vertritt. Werner betrieb die gläsernen kleinen Läden am unteren Ende der Stadt zunächst unter dem Namen The Vitrine. Der gewünschte Charme und Erfolg kam erst mit der Umbenennung in Tramps und dem handgezeichneten und auf eine Art sehr ehrlichen Logo der ineinander verdrehten Masken. Unter Tramps wird auch ein weiteren Raum in London betrieben, wo es ebenfalls eine Werner-Galerie gibt, Vermutlich könnte die Althoff-Ausstellung im poshen Werner-Haupthaus an der Upper East Side nicht einen Bruchteil von dem Zauber entfalten, die sie hier in Chinatown ausstrahlt. Manche Malereien von Althoff würden auf dem dunkelbraunen Parkett zu rotem Teppich wohl ziemlich muffig wirken.
Dass bei Tramps irgendwas nicht stimmt oder alles zu gut aussieht, macht die Angelegenheit natürlich auch geheimnisvoll und interessant. Also komme ich wieder. Bei meinem zweiten Tramps-Besuch bin ich milder gestimmt. Was Althoff als Wirklichkeit entwirft, scheint diesmal einnehmend, sodass die möglichen Einwände gegen die Überinszenierung weichgespült werden. Vielleicht ist die Inszenierung einer Art von Ort, der gerade in New York unmöglich scheint (Real Fine Art hat als einer der letzten dieser Art im April geschlossen), eine Möglichkeit, um das unmöglich Erscheinende zu denken? Dass die Konstruktion mit der Illusion spielt, hat auch wieder etwas Realistisches, wenn es so schwer geworden ist, Wirklichkeiten neben der Wirklichkeit in Szene zu setzen.
Nach dem Anschein einer Off-Eröffnung gab es ein Dinner, bei dem sich die Verkäufer von Barbara Gladstone und Michael Werner um die Sitzordnung ihrer Sammler streiten konnten. Aber sollen die doch ihre Spiele spielen, wenn ich auch meinen Spaß habe. Weiterführender scheint die Frage, warum sich so viele auf den Anti-Realismus der Gegenwirklichkeiten von Althoff einigen können? Weil alle hier einfach nur raus wollen und selbst die Reichen die Wirklichkeit inzwischen zum Kotzen finden und lieber von Fabelwesen bezaubert werden wollen? Jetzt denke ich wieder an die Klara Liden Ausstellung, die eine Wirklichkeit, in der wir leben, darzustellen versucht und dadurch Gegebenheiten verhandelbar macht. Da tun einem halt die Knie weh und genau genommen müsste man dann selbst etwas tun.
Ich gebe zu, das Tramps-Szenario fasziniert mich sehr, und ich gehe noch ein drittes Mal an den Ort, diesmal um die Tramps-Bar zu besuchen. In dem größten der Geschäfte hängen über einem gläsernen Tresen zwei Großfotos von Katzen über einem wunderschön vertrockneten Strauß Blumen. Lizzi Bougatsos, die Sängerin von Gang Gang Dance lächelt freundlich hinter der Bar, wenn man sich selber sein Longdrink mischt und dafür fünf Dollar in einen Plastikbecher steckt. Als sei man in einer – zumindest aus Manhattan – verschwundenen Welt, wird geraucht. Darf man in Bars noch rauchen, wenn die Reichen ihren Schutzschirm darüber aufspannen? Wie es sich für eine amerikanische Cocktailparty gehört, ist die charmante Anmutung von Exzess nach zwei Stunden vorbei. Die Gäste der von dem Plattenhändler organisierten Bar, dessen Laden da war, bevor es Tramps gab, kommen nicht aus der Kunstwelt, sondern sind meist Musiker und einige drehen an den Knöpfchen der aufgestellten Geräte. Der Plattenhändler erinnert mich wieder an die Ausstellung von Klara Liden. Er wirkt aufgeregt obwohl alles bestens läuft, aber das ist gerade sein Auftritt und als er wieder einmal den Flur zwischen den Geschäften nervös hinunterläuft, fürchte ich einen Moment, er würde gleich zu Boden fallen, was aber nicht passiert.
Die Besitzerin des Hauses hatte den Barraum zuerst als Atelier für einen deutschen Künstler der Nach-Kippenberger-Ära vorgesehen. Der lehnte aber dankend ab, da ein bisschen Licht für seine Bilder von Vorteil sei und er schlecht im Schaufenster malen könnte. Jetzt rauche ich hier und werte vielleicht mit jedem Zug das kulturelle Kapital einer Firma namens Michael Werner auf. Oder kann ich einfach Spaß haben und für einen Moment vergessen, wer gerade was und aus welchen Interessen noch zulässt?
Nichts wird sein wie es war.