Tritt ins Kopf
Zehn Uhr; die Nachrichten; zunächst die Übersicht:
Jetzt
„An apple a day“ steht auf der Tüte, die mir beim Flug zurück hierher nach Berlin in die Hand gedrückt wurde. Die gleiche Hand, die mit der anderen zusammen die Tastatur meines Computers, der gleiche Apfel, der jetzt in Spalten den Teller daneben belegt. Diese ganzen dummen Worte, der Tisch hier – viel zu nahe – das Zimmer, dieses Heft, die erste Spalte, die Leute da draußen, mein Kopf, der Erfüllungszwang, der Widersprechenswunsch.
Krank
Die Hirntube komplett ausgedrückt, meinst du. Nichts geht mehr heraus aus uns im Beograd. Nach Stunden im Floriani laufen wir rüber ins Café Bellaria und nun also dieser Keller hier – davor die schöne Gaudlutzeröffnung – danach das Hotel Strindberg im Burgtheater – mit drei ideal getakteten Pausen – dazwischen zwischenmenschliches Geschrei größter Belustigung. Nun ist es dunkel.
Pathologisch-Anatomische Sammlung im Narrenturm, Spitalgasse 2, 1090 Wien
Der Narrenturm hat fünf Stockwerke, jedes dieser Stockwerke achtundzwanzig beheizte Zimmer, jedes Zimmer zwei Betten und für die Internierten ein Fenster. Im Zentrum des ringförmigen Gebäudes ein Innenhof – den muss man überqueren, will man über das Treppenhaus zurück ins Freie. Ein einziges Augenpaar im Wächterzimmerchen genügt um sämtliche Zellen und damit alle Insassen gleichzeitig überwachen zu können. Narrenturm, erste Nervenheilanstalt, 1748. Der Metaller, Medizinstudent und Kassier des Pathologisch-Anatomischen Bundesamts lässt uns, während sein Nietenband auf der Gurgel auf und abspringt, wissen, dass Joseph II auf diesem Turm ein Holzgestell bauen ließ, um dort über den sogenannten Wahnsinnigen und Narren hinter seinem Fernrohr sitzend die meisten seiner Nächte zu verbringen. Über dem Auge der Macht wendet er seinen Blick Richtung Sternenhaufen in die Unendlichkeit. Meiner fällt auf den Zuckerbeutel vor mir
Sternzeit 13. November. Nur wenige Leoniden. Sternschnuppen können zu jeder Zeit und an jedem Ort am Himmel aufflammen.
Apropos dumm
Angenommen wir sind alle von der Pathologie befallen, dass jedes Auftreten, jedes Veräußern so wie jede Form der Wahrnehmung – also jeder Satz, der hier steht, der ganze Textkörper und die Art, wie er geschrieben ist, die Art, wie du ihn liest – wenn jedes Tun und Sehen von einem lückenlosen System nach innen und aussen gerichteter Blicke kontrolliert und überwacht wird: wie kommt man dann bitte heraus aus diesem Knast der Spiegel und Perspektiven, ohne alternativ auf dem Dach sitzend wie blöd in die Unendlichkeit zu starren? Wo geht’s raus aus der ewigen Befangenheit der verinnerlichten Disziplinierung? Und vor allem, wie kommt man weg von dieser andauernd gestellten Frage? Aber auch: angenommen das mit der Pathologie stimmt wirklich lückenlos so, dann wäre jede Antwort auf diese Fragen natürlich dumm.
Also raus aus diesem Gewirr, raus aus diesem Raum, aus dieser Denke und hinein in Jürgen Trittins Kopf.
Diskret
Wirklich richtig gut, dass der samt seiner scharfgeschnittenen Frisur die Sicht auf die Bühne des Deutschen Theaters verdeckt, dass vorne die Rois so wahnsinnig toll spielt wie noch nie, dass nach dem Zusammenbruch der Volksbühne nicht alles verloren ist, dass man hier samt seinem lächerlichen Fan-Sein wie unbeobachtet dasitzen kann, als wäre das alles nur für einen selbst inszeniert und dass das alles noch viel lustiger wird, denkt man sich in diesen komischen Machtschädel vor einem hinein