No Dandy, No Fun
Dandy? Wer das sein soll, lässt sich nicht so schnell sagen, mag das Wort auch das Bild eines gefallsüchtigen Gecks auslösen. Genau genommen gibt es aber keine verbindliche Definition und der Modenarr trifft es zu kurz. Es handelt sich um einen offenen Begriff, der zwischen einer Vielzahl an tatsächlichen und erfundenen Figuren Raum liefert. Mag es die exakten Kriterien des Dandysme nicht geben, ist sich die Literatur doch über den ersten Dandy einig, George Brummell.
Jules Barbey d’Aurevilly, selbst ein Dandy, schrieb 1844 eine Abhandlung über Brummell, in der er dessen Leben zur Legende stilisierte. Diese hinterließ wie ihre Vorlage sagenhafte Schulden. Barbey d’Aurevilly beschreibt einen Mann, der sich vorbildlich kleidete und es wie kein anderer verstand, seinen Krawattenknoten zu binden. Noch eleganter beleidigte er jene Mitmenschen, an denen er Anzeichen von schlechtem Geschmack erkannte. Mit diesen Fähigkeiten zog er das Wohlwollen der Herrschenden auf sich und wurde eine feste Größe im Hofstaat des Prince of Wales. Um seine tödliche Langeweile zu vertreiben, spielte er ohne Rücksicht auf Verluste und trank wie ein Loch. Als Soldat diente er faul, beeindruckte seine Umgebung aber mit soldatischer Anmut. Von der Arbeit hielt er gar nichts. Wirklich reich war er nicht. Woher das Geld für den mondänen Lebenswandel des mittelprächtig ausgestatteten Erben kam, blieb unklar, bis er sich nicht mehr die Mühe gab seine Gläubiger in Schach zu halten. All das klingt gerade mal amüsant, verwandelte sich aber in die Vorlage zur konzeptuellen Figur, die dem Dandysme vorsteht.
Brummell, darüber herrscht Einigkeit, war selbst kein Künstler, wurde aber zu einem Bezugspunkt für die Kunst, obwohl ihn manche nur für einen modernen Hofnarren hielten. Seine Aura und die Verwandlung in einen Mythos verdankt Brummell neben
Barbey d’Aurevilly, auch Lord Byron, Charles Baudelaire und Virginia Woolf.
Baudelaire formulierte die häufig herangezogene Aussage, „er muss leben und schlafen vor dem Spiegel“, was meist auf Narzissmus verkürzt wurde. Als Narzisst erfährt der Dandy oft abfällige Ablehnung, worin sich die unterdrückte Eitelkeit der Urteilendenden nur allzu deutlich spiegelt.
Wie Friedrich Wolfram Heubach in Le dandysme (2017) bemerkt, meint der Spiegel bei Baudelaire den inneren Spiegel jeder Persönlichkeit. Die Vertreter des Dandysme betrachten sich selbst, und das scheint einer ihrer wesentlichen Züge, wie eine Sache, nicht als Person. Sie beobachten sich aus der Distanz, als modifizierbar, vermeiden es bei-sich-zu-sein und negieren das narzisstische Ideal der Gegenwart: Verwirkliche dich selbst! In der Verdinglichung des Dandys lebt dieser nach einem Bild, das er von sich entwirft und welches sich von der überheblichen Vorstellung unterscheidet, welche man als das „Selbst“ bezeichnet. Der Dandy verneint sein „Ich“ geradezu. Er ist nicht bei sich, sondern in dem Bild, nach welchem er lebt. Er verfremdet sich vorsätzlich und nach selbst gemalten Maßstäben. Vielleicht ist dies eine der nachhaltigsten Provokationen, die der Dandy für die Mitmenschen darstellt, da viele letztlich dem Bild gerecht zu werden versuchen, das andere von ihnen verlangen. Dandyeske Menschen meiden hingegen Handlungen und Äußerungen, die andere von ihnen erwarten. Absehbares Verhalten erscheint ihnen als schlechter Stil und eine Beleidigung des Lebens. Die Denkfigur Dandy begreift die Welt als Bühne und sich selbst als Darsteller. Von ihm kann die Umgebung erwarten, verblüfft zu werden. Wie beim Bluff des Pokerspiels, suggeriert ihr Spiel, ein überlegenes Blatt in den Händen zu halten. Dandies kennen keinen Mangel. Es fehlt ihnen nicht an Unterhaltung, sie sind reich an Langeweile, jenem kostbaren Gut in einer Gegenwart, in der die müßige Zeit durch den andauernden Angriff der Beschäftigungspolitik rar geworden ist. Die entschiedene Langeweile zeigt sich in einer gegensätzlichen Bewegung: es wird sich gelangweilt, aber vermieden, die anderen zu langweilen. Damit das auf keinen Fall geschieht, erfinden die Darstellerinnen des Dandysme ständig neue Provokationen, die den Blick ihrer Beobachterinnen unterhalten und fesseln. Ihr Auftritt will dabei nicht gefallen, lieber verstört und verführt er, in dem er das, worauf sich alle als Geschmack oder Verhalten geeinigt haben, durcheinander wirbelt. Ein / e Dandy vermeidet es, öde Einhelligkeit ins Gespräch zu bringen. Lieber inszeniert er / sie sich als scheinbar haltloser Widerspruch, führt eine bewegliche Gegenfigur vor. Nur zu provozieren ist ihnen aber auch zu billig und berechenbar. Kaum glauben ihre Beobachter*innen eine Haltung zu durchschauen, wird eine andere Maske aufgesetzt. Wer sich hinter den künstlichen Persönlichkeiten verbirgt, bleibt unklar, nicht selten ein Geheimnis, auch wenn hinter diesem Geheimnis möglicherweise nur die Leere gähnt.
In vielem sind die Bewegungsformen der Dandies Vorläufer dessen, was Antonin Artaud in seinen Letzten Schriften zum Theater als „Körper ohne Organe“ entwarf. Eine Gestalt der glatten Oberfläche, die es erlaubt, wieder zu tanzen, da aus ihrem leer erscheinenden Körper keine Organe herausgerissen werden können, durch die sich ein identifizierbares Subjekt einfangen ließe. Mit geschmeidigen Bewegungen entfliehen die Hüllen allen Versuchen, sie zu verhagen.
Dandys tarnen und täuschen, bedienen sich dessen, was der Militärstratege Sunzi als Grundregel des Krieges behauptet. „Gib vor, schwach zu sein, damit er überheblich wird. … tauche auf, wo du nicht erwartet wirst“.
Obwohl es gute Gründe gibt, den Verhältnissen, wie sie gerade sind, zu entfliehen, wirkt dandyesker Eskapismus ziemlich aus der Mode. Statt sich abweichend und uneigentlich zu verhalten, wird versucht sich verständlich, transparent und berechenbar zu bewegen, das eigene Tun wird kommuniziert und begründet: Ich möchte, dass du mich verstehst. Es wird an dem Platz geblieben, der von einem erwartet wird. Statt vor dem Spiegel zu schlafen, wird am Ich gearbeitet, das Selbst optimiert, in dem man friedlich mit ihm zu Deckung kommt. Der Dandysme versucht hingegen, sein Selbst auszulöschen. Mögen sich seine Protagonisten auch nicht gleich umbringen, schlafen sie zumindest viel, statt wach und produktiv die Umwelt zu verschmutzen. Selbst dieser Charakterzug des Dandysme, die Verweigerung der Arbeit mit dem Grundgesetz, „ne travaillez jamais“, wirkt höchst démodé. Fast alle arbeiten ständig und sprechen schamlos darüber. Und wenn mal unterbrochen wird, dient die Erholung nur dazu, anschließend wieder besser arbeiten zu können. Nichtarbeit gilt als Ausnahmezustand, Makel der Asozialen oder nervige Behinderung des öffentlichen Transportwesens durch Organisationen, die sich UFO nennen. Und selbst dort, wo die verbliebenen Wünsche nach dem „Recht auf Faulheit“ noch nachhallen, wie in der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, stellen sie sich in den Dienst einer verbesserten Produktivität. Der Anspruch auf eine Grundversorgung wird nicht damit begründet, wie lustig es ist, in der Sonne zu sitzen, sondern dass die kreativen Potentiale durch den verwalteten Müßiggang mobilisiert werden sollen. Schöpferisch zu sein, scheint ihm eine abstoßende Idee, bei der mit Fantasien „schwanger“ gegangen wird, um anschließend Innovationen zu „gebären“. Kreativität, wie alle Metaphern des reproduktiv Natürlichen, bereiten dem Dandysme Hautausschlag. Wenn es um das Sexuelle geht, interessiert den Dandysme gerade mal das Perverse. Und Liebe, was soll das sein? Meist läßt ihn die Vorstellung der Nähe kalt – „rächende Fühllosigkeit“ wie Baudelaire die Aura der Kälte, die viele Dandies kultivieren, umschreibt. Dandies lassen sich von nichts ergreifen, sind unemphathisch, in ihrem Einzelgängertum antisozial. Sie folgen allein dem Gesetz der Unterscheidung. Statt, wie es die neoliberale Gegenwart von ihnen verlangt, sich durch eine Therapie zu normalisieren, nehmen sie sich neurotische Freiheiten, die nicht verallgemeinerbar und unpolitisch sind.
Dass der Dandysme vor einigen Jahren aus der Mode kam, hat hat noch weitere nachvollziehbare Gründe. Dandyesk auftretende Gestalten dienten sich der „neuen“ Ordnung an, stellten das flexible Subjekt dar oder prägten Modelle für den Hyperkonsum. Auch haben jene nicht unrecht, die in den Provokationen rassistischer Trolls und misogyner Edgelords dandyeske Ursprünge erkennen. Nihilismus und Negation versteifen sich leicht zu Zynismus und aggressiver Männlichkeit.
Der Dandysme wurde aber auch unattraktiv, da seine Lust zu provozieren nicht zur Etikette des Netzwerk-Kapitalismus passt. Statt die Kanäle der Freundlichkeit und des toleranten Verständnisses zu pflegen, um sich möglichst viele Türen offenzuhalten, stößt der Dandysme vor den Kopf und kappt in einem endlosen „Kriegsspiel“ die Linien der Kommunikation. Verbindlichkeit durch vertraute Signale zu pflegen, um die Atmosphäre wohliger Wiedererkennbarkeit herzustellen, bedeutet für den Dandysme kaum mehr, als die anderen zu langweilen. Statt Anerkennung zu sammeln, wird lieber die Bewertung verstört und offengelassen. Statt nach Identität zu streben, wird eine Ästhetik des Verschwindens kultiviert. Dandyeske Selbstfiktionen stehen wie Spielverderber*innen am Rande des Feldes und gähnen gleichgültig darüber, dass sie eine Identität darstellen sollen, selbst wenn sie es in den Augen anderer tun.
Es wirkt gerade wieder angebracht, nichts zu werden, alles Iidentitäre aufzulösen, um die Zuschreibungen, was und wie man sei, hinter sich zu lassen. Es mag spekulativ sein, einen Bogen von Beau Brummell über Artauds Körper ohne Organe oder dem Verschwinden von Paul Valerys Monsieur Teste zu den jüngsten Wendungen zu schlagen, doch scheint es uns eine Perspektive zu eröffnen.
Mögen dem Dandysme auch unsympathische, selbstbezogene Züge innewohnen, zeichnen sich in seiner Verachtung von Arbeit, Kreativität, Geld und Identität mögliche Fluchtlinien aus dem normativen Überwachungskapitalismus. Vielleicht lässt sich die dandyeske Haltung zum Leben und sich selbst nochmal anders verstehen und in Szene setzen. Unheimlich, abgründig oder vollkommen überraschend wird der Dandysme aus der Zukunft zurückkommen, auch ohne dass man ihn sogleich erkennt. Nichts wird sein, wie es war.