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Ein Gespräch zwischen Mercedes Bunz (Mitherausgeberin der Zeitschrift de:Bug, Berlin), Stefan Heidenreich (Autor des Buches, Was verspricht die Kunst, Berlin Verlag) und Hans Christian Dany, Ariane Müller, Gunter Reski (für dieses Blatt).
Erster Teil, in dem Stefan Heidenreichs Buch Was verspricht die Kunst besprochen, der Speicher Museum als Apotheose des Kunstbetriebs angezweifelt und die Frage nach der Eindimensionalität der Geschichte gestellt wird.
Hans-Christian Dany: Beim Lesen Deines Buches hat mich zwar amüsiert, wie Du alle möglichen Formen, sich in der Kunstgeschichte zu plazieren, auseinandernimmst. Ich glaube aber, daß Du dabei etwas herschenkst. Du sprichst immer von der Kunst und meinst, zumindest habe ich den Eindruck, häufig Kunstbetriebsmechanismen. Es wird die Erzählung oder die Biografie eines Künstlers konstruiert und die kommt immer an den Punkt, wo sie es entweder schafft, sich in den Speicher Museum einzuschreiben, oder eben nicht. Erfolg, und der Begriff kommt ja mehrfach vor, ist dann, wenn sich diese Biographie ins Museum einschreiben kann. Der andere Fall wäre Mißerfolg. Das kommt aber in Deiner Form der Geschichtsschreibung gar nicht vor.
Das Sich Anpassen oder Unterordnen der Künstler in das System Museum - Speicher ist das Hauptthema, das sich durch das Buch zieht. Daß sich viele und vieles nicht in den Speicher eingeschrieben haben, macht sie auch in dieser Form der Geschichtsschreibung unsichtbar. Ist das bewußt gemacht.
Stefan Heidenreich: Die Institution besitzt die Speichermedien und damit die Datenmenge, aus der Geschichte geschrieben wird. Die ist an Institutionen gebunden und daher kommt die Macht. Auch ich schreibe deshalb den Museen diese Macht zu und ich komme dann - schon praktisch vorauseilend - dazu, in meinem Buch die Standards anzusetzen, die ich eigentlich kritisiere. Ich rede nur über die Bemühungen in der Kunst, die in die Institution reinfallen, die anderen radiere ich auch aus.
Und es ist die Frage, ob für den nicht institutionellen Bereich überhaupt Geschichte geschrieben werden kann.
Mercedes Bunz: Ich glaube schon. Dort hat Schreiben eine ähnliche Speicher-Funktion wie im anderen Bereich das Museum.
Die Situationistische Internationale ist z.B. allein durch die Bücher präsent. Und das ist auch das Modell, das dann oft wiederholt worden ist.
S.H.: Da ist die Frage welche Haltbarkeiten man ansetzt. Ich ordne das nicht der großen Kunstgeschichte zu. Ich würde sagen, daß ein Großteil der Kunstgeschichte auf der Anpassung ans Museum basiert, und glaube nicht, daß die anderen Projekte frei von diesen Anpassungsstrategien sind.
Gunter Reski: Wenn es um Haltbarkeiten geht, hat das leidige Beispiel Situationismus eine größere Haltbarkeit als z.B. die Transavantgarde. Generell knüpft diese Art von Polarisierung an eine schwarz-weiß Geschichte an, die auch eine entsprechende schwarz-weiß Moral mit sich bringt, die ich extrem langweilig finde.
Mich interessiert das Rathaus nicht so und ich weiß auch nicht, warum man selber das Rathaus erst so beschwört, um es dann zu kritisieren. Das finde ich eine eher langweilige Position.
Genauso wie es viele kleine Projekte gegeben hat, die verpufft sind, vergammeln viele hoffnungsvolle Künstler nach einigen Jahren als Museumsleiche im Archiv. Wenn die ihr Lebensziel dann erfüllt haben?
S.H.: Man kann als Künstler natürlich sagen, man interessiert sich nicht für die Verwaltung, aber dann muß man sich fragen lassen, mit welchem historischen Bewußtsein man in dem Diskurs steht, dem man glaubt, zuzuarbeiten.
H-C.D.: Du machst diesen Speicher in einer Art sehr lächerlich, indem Du sagst, daß er an einen toten Punkt gekommen ist, an dem er nur institutionalisierte Rhythmen reproduziert. Die kein Potential der Kunst ausdrücken, sondern nur noch Verwaltungsakte darstellen, die mehr oder minder geschickt durchgeführt werden. Aber es scheint dir nicht auszureichen, ihn so auseinanderzunehmen und zu dekonstruieren. Also was schwebt Dir dann vor? Sagst Du, die Kunst kann gar nicht anders, als darauf hinzuzielen oder müssen andere Speicher erfunden werden? Das Lächerliche liegt ja im großen Maß an dieser Schnittstelle.
S.H.: Erstens glaube ich, daß es überhaupt nicht mehr die Kunst ist, die neue kulturelle Maßstäbe oder kulturelle Standards setzt.
Der Kunstdiskurs macht in einem größeren kulturellen Feld eher Zweitverwertung, verwertet Standards aus anderen Feldern und kann sich nur deshalb aus der Gesellschaft zurückziehen, weil er die Basis der Institution im Hintergrund hat. Daß die Institution diesen Rückzug erlaubt, sehe ich als den größten Fehler. Man braucht sozusagen keine Öffentlichkeit mehr.
Also erstens, wo werden kulturelle Standards geprägt, welche Felder produzieren gesellschaftlich wichtige Aussagen? Ich würde sagen, nicht die Kunst.
Zweitens, wenn ich von der Kunst her denke, kann man sehen, daß sich die Museen ändern. Daß die Museen manche Funktionen abstreifen und sich den temporären Ereignisausstellungen (z.B. Pippilotti Rist als Chill-Out Raum) öffnen. Das wird aufgebaut und das verschwindet wieder. Kann das noch gespeichert werden? Und was passiert mit dem Raum, wenn er sich von dieser Funktion verabschiedet? Das verfolge ich mit Neugier. Wenn das Museum das Verhältnis zur Zeit umstellt, könnte das eine bedeutende Veränderung bewirken. Wenn die Museen nicht mehr die konservativen Speicher spielen, was passiert dann mit den Werken? Was passiert dann vor allem mit dem finanziellen Wert? Meine Hypothese ist, daß der dann gar nicht gehalten werden kann und das wäre ein heilsamer Zusammenbruch. Aber so weit wird es leider nicht kommen.
Ich glaube nicht, daß das Aktionsfeld im Begriff Kunst geschlossen ist, aber ich glaube, daß man dringend überlegen muß, welchen Rathäusern man, ob man will oder nicht, zuarbeitet.
G.R.: Bei dem Speicher kommt man ja schnell zu sowas wie Betriebssystem. Und manche Betriebssysteme, wie wir bei Windows sehen, lassen ja vieles gar nicht zu.
S.H.: Aber ohne Betriebssystem fährt die Maschine erst gar nicht hoch.
G.R.: Sieh Dir doch Linux an, das funktioniert eben ganz anders.
Zweiter Teil, in dem über verschiedene Vorstellungen von Produktion gesprochen wird. Muß man die Produktionsbedingungen ökonomisch denken? Darf man sie überhaupt abseits von Ökonomie denken? Und wie sieht es mit dem staatlichen Kulturauftrag aus?
Stefan Heidenreich: Mir ist klar, daß so eine Speicherfunktion, die in die Produktion eingreift, zu Rückkopplungen führt. Wenn die Leute anfangen, von vornherein für den Speicher zu produzieren, ist das Blödsinn. Auf der anderen Seite ist die Speicherfunktion auch wichtig, weil es spannend ist, daß sich Strategien nicht nur mit dem auseinandersetzen, was gerade ist, sondern man in einem größeren historischen Rahmen Strategien aufmachen kann oder arbeiten kann. Alle kulturellen Produktionen haben ihre Halbwertszeit. Die produzieren alle ihr Gedächtnis. Aber das Gedächtnis ist der Produktion nachgeschrieben. Bei der Kunstszene ist das Drama, daß das Gedächtnis Vorschrift geworden ist. Daß es gar keinen anderen Grund mehr für die Produktion gibt, außer den, in das Gedächtnis einzutreten. Die Institution des Gedächtnis produziert entweder Unsinn oder muß sich ändern.
Ariane Müller: Und hier führst du die Kulturindustrie als vorwärtsgewandteres System ein.
S.H.: Ich bin kein Fan von ökonomisch rückgekoppelter Kulturproduktion. Aber in der Welt in der wir leben, scheint es mir keine Alternative dazu zu geben.
A.M.: Ein Großteil der Künstler landet irgendwann ohnedies in der Kulturindustrie. Egal ob Museumsleichen oder Projektleichen. Sie werden Grafiker oder sie fangen an beim Fernsehen zu arbeiten. Das Einzige, wozu so eine ästhetische Ausbildung befähigt, ist ja die Kulturindustrie. Das kann man überall ansetzen. Leute, die als Maler angefangen haben und dann Film gemacht haben. Das findet man ja immer den schönsten Ablauf. Da werden sie wenigstens berühmt. Meistens werden sie aber Grafiker.
S.H.: Bis auf die wenigen, die in die Museumsmaschine reinfallen.
Hans-Christian Dany: Gibt’s kein dazwischen?
A.M.: Sie werden KunstprofessorInnen.
H-C.D.: Aber gibt es nicht andere Gedächtnisse, oder, was Du mit Linux meintest, andere Verwaltungssysteme für dieses Gedächtnis? Oder andere Ökonomien? Das sind doch die Fragen, die anstehen. Was gibt es für weitere Wege? Ich dachte, daß das Buch darauf hinzielt, neue Modelle zu entwickeln.
S.H.: Das Buch entwickelt keine neuen Modelle,
H-C.D.: aber es schreit danach.
S.H.: Ja es schreit danach. Es gibt ein paar Fingerzeige, wie sich im Himmel der Institutionen etwas ändern könnte und wie das zu bewerkstelligen wäre. Wie man als Einzelner damit umgeht, da bin ich unsicher.
Es gibt heutzutage drei Kreisläufe, wie Kulturproduzenten im Augenblick überleben können. Entweder sie kriegen Geld von Staat oder sie finanzieren ihre Produktion mit was anderem oder sie kriegen Geld von der Industrie - von der Kulturindustrie.
Mercedes Bunz: Was ist mit der Galerie?
S.H.: Die ist an die Institution und damit an den Staat gekoppelt. Das war meine Vermutung, zu sagen, daß der Markt an die Museen gekoppelt ist. Auf lange Sicht, wenn sich die Museen nicht für einen Künstler interessieren, wird er sich auch nicht am Markt durchsetzen. Außer es ist ein Maler, der bürokonforme Bilder produziert.
Die Galerien arbeiten dem selben System zu. Das Ganze läuft auf einer musealen Logik von Abweichung, von Neuheit, von Einschreibung und Gleichheit.
Es gibt einen ganz einfachen ökonomischen Grund, warum das so sein muß: Kunst würde wie jeder andere Modeartikel nach dem Ablauf einer Gebrauchsfrist den Wert verlieren. Also muß ja am Ende ein Speicher stehen, um den Wert zu halten und die Spekulation auf den Wert zu hieven. Das Museum ist eine Art Fort Knox, das für eine bestimmte Auswahl, nicht für das gesamte Marktsegment, den Wert erhält und somit das Risiko abfedert.
Gunter Reski: Wenn man so fest an Institutionen glaubt, muß man für Privatisierung sein.
A.M.: Wenn Du sagst, Kultur sollte keine staatliche Aufgabe sein, was sollte dann eine staatliche Aufgabe sein, die Gasleitung? Ich sehe, daß viele Leute, die an einen anderen Kunstpraxis arbeiten, ihr Geld aus dem sogenannten staatlichen Kulturauftrag kriegen und sei es der österreichische.
S.H.: Ich glaube, der staatliche Kulturauftrag ist kulturell eher kontraproduktiv. Die staatlich geförderte Kultur wird gegenüber einer ökonomisch fundierten Kultur immer rückständig sein, weil die Kopplung an das Publikum nicht gegeben ist. Staatskultur ist ein Auslaufmodell. Es gibt diese ganzen feudalen Reichtümer und die mußte der Staat verwalten. Aber das produziert schon lange keine Kultur mehr, die funktioniert. Das produziert eben diesen Haufen von Theatern, den staatlich geförderten Musikbetrieb.
G.R.: Da sehe ich nicht, wo da grad der Absturz passiert. Das hätte man immer schon vermuten können. Sogar den Theatern geht es jetzt dank einer Form von reformierten Brüll und Spucktheater wieder besser. Ich denke, das hat eher wieder den Anschluß gefunden.
A.M.: Viele Leute, die eine Arbeit verfolgen, die sich nicht in den Speicher einschreibt, sind auf staatliche Kunstförderungen angewiesen, sowohl über Hochschulen wie über Aufträge. Alle Untersuchungen über z.B. das National Endowment Of The Arts zeigen, daß jede Kultur, die entlang der Linien race, class, gender von der Hochkultur getrennt ist, öffentlich weniger präsent ist, kaum werden diese Beiträge gekürzt oder gestrichen. Der Markt funktioniert nicht anders als die Gesellschaft und die unterstützt nun mal sehr spezifisch. Dann wird halt die Geschichte des jungen weißen Mannes wieder weiter geschrieben.
S.H.: Wenn ich beobachte, was in Deutschland aus der staatlichen Kultur entstanden ist, muß ich sagen, daß es mir ziemlich rückständig erscheint.
A.M.: Weil es hier gerade zu dieser Nationalstaatenbildung kommt, mit nationaler Kultur. Letztlich wird hier eine Diskussion aus dem 19. Jh. geführt. Eine Geschichtsschreibung mit Sprachdiskussion, Biennalen und Nationalkultur.
G.R.: Was wären die Punkte, die es für dich vielversprechend machen würden, wenn das Museum privatisiert wird. Wie könnte das aussehen? Da gibt es in Deutschland oder Berlin bisher nur schwierige Beispiele.
Siemens, Philip Morris oder das Frankfurter MMK, das sehr stark mit Sponsoren zusammenarbeitet.
S.H.: Ich fände spannend, wenn die Institutionen andere Zeitstrategien verfolgen würden. Wenn das Museum privatisiert wird, klärt sich gar nichts. Eher klärt sich was, wenn es nicht mehr als Speicher zur Verfügung steht, dann kippt auch der Markt zusammen. Wenn das Museum so eine Arbeit wie die Ambientearbeit von Pippilotti Rist nur einmal ausstellt und dann nie wieder, und kein Geld mehr dafür ausgibt, dann hat die Arbeit nach ihrer Aufstellung keinen Wert, warum sollte man sich an die erinnern? Welcher Speicher garantiert dann noch ihren Wert?
G.R.: Da vergißt du eine vermeintliche Stärke der Kunst: du kannst doch auch weniger als Luft mystifizieren. Gammlige Schokolade von Dieter Rot kriegt da auch noch einen passablen Wert.
Dritter Teil, in dem gefragt wird, was passiert, wenn man den Kunstbetrieb verläßt. Hier wird die Berliner Zeitschrift für elektronische Lebensaspekte de:Bug eingeführt.
Hans Christian Dany: Was de:Bug probiert, war doch zu sehen, wo gibt es Produktion, die nicht das Spektakel der Kulturindustrie reproduziert, aber auch nicht auf Geld vom Staat angewiesen ist. Für mich haben sich da eine Reihe von Modellen aufgetan. Man geht in den angewandten Bereich hinüber und versucht Mischfinanzierungen. Durch vieles zieht sich dabei die Frage: Wie arbeitet man?
Mercedes Bunz: Das Verständnis, wie man sich bei de:Bug als Produzent begreift, steht dem Selbstverständnis des Künstlers schon sehr entgegen. Das Bild des Künstlers hat sich aber auch kaum geändert. Man sagt zwar vielleicht nicht mehr Werk, sondern Arbeit, aber im Begriff Künstler gab es keinen shift. Bei de:Bug gibt es einen Austausch zwischen verschiedenen Arbeitsgebieten. Allein da man sich hauptsächlich über das Produzieren begreift, gibt es ein stärkeres Zusammengehen von verschiedenen Feldern: Design, Programmieren, Musik machen, Musik auflegen. Es gibt darüber einen Austausch und der findet vor allem auf dem gleichen Niveau statt. Anders bei der Kunst, wo man als Künstler mit einem Kurator, einem Museumsdirektor oder der Sekretärin des Museumsdirektors zusammenarbeitet, denen jeweils unterschiedliche sozial-hierarchische Ränge zugesprochen werden, an die man sich gefälligst zu halten hat.
Eigentümlicher Weise wird ausgerechnet im Mainstream-Bereich von Techno das Modell “Künstler” wieder aufgerufen. Westbam macht das z.B. in seinem Buch “Mix, Cuts and Scratches” (Merve). Zunächst indem er da seinen Kunstprofessor Vater bemüht und dann immer betont, daß seine Arbeit künstlerische Arbeit ist. Wobei dieses Modell nichts anderes besagt, als seiner Arbeit einfach eine besondere Relevanz zu geben.
Ariane Müller: Das ist eine Tendenz, wie man sie auch auf der Berlin Biennale gesehen hat, daß jede Menge Leute, die an sich in anderen Feldern arbeiten, wie Architekten, Designer oder Modemacher zu Künstlern gemacht werden. Die beziehen von ganz woanders ihr Geld und können zusätzlich auf der Berlin-Biennale als Künstler auftreten. Da findet eine Ablösung statt: Künstler gehen in andere Felder, um Geld zu verdienen und die, die ohnedies schon ihr Geld woanders beziehen, machen die Ausstellungen.
M.B.: Ja den transzendenten Glamour, an den ja schon viele glauben, den bekommt man eben über die Kunst.
In Technoland gibt es das auch. Aber auf einer anderen Ebene als dort, wo wir arbeiten. Das zieht sich nicht durch alle Bereiche. De:Bug operiert auf einer Struktur, in der man sich für 1000er Auflagen zusammenschließt, und, falls man das so sagen darf, versucht, selbstbestimmt zu produzieren und sich das Geld dafür mit Auflegen verdient und ein bißchen mit dem Label und mit noch was.
A.M.: War das also für Dich ein Gewinn, den Kunstbereich zu verlassen? Das konnte man von verschiedenen Leuten hören, daß sie über das Interesse an einem Thema in ganz andere Felder gekommen sind und dort bemerkt haben, daß Kunst wirklich einer der rückschrittlichsten und konservativsten gesellschaftlichen Bereiche ist.
M.B.: Im Kunstfeld geht es ja nie nur um Kunst, sondern immer um eine theoretische Bedeutung, die mit Kunst mitverhandelt wird. Was relevante Kunst ist, wird einfach durch wenige Männer bestimmt, oder sagen wir eher, an ihnen kommt man eben nicht vorbei. Für mich gab es innerhalb des Kunstsystems da keine Alternative, denn entweder man sagt, man will damit nichts zu tun haben, und dann ist man automatisch off oder man sagt, ich will da rein und werde dann Assistentin von Klaus Biesenbach und dazwischen wollte ich nicht wählen. De:Bug war da ein Ausweg, oder der Ausweg war zunächst, in einem Club zu arbeiten. Dort habe ich die Leute kennengelernt, mit denen ich dann de:Bug angefangen habe. Es ging darum, etwas zu machen, ohne von einem Gegenüber abhängig zu sein, das die Relevanz erst bestätigt.
H-C.D.: Gerade aus diesem Gründen würde ich weiter behaupten, ich bin Künstler und ich möchte eine Verschiebung des Begriffs. Ich möchte nicht sagen, Kunst wird nur in diesem Feld, wie sie Stefans Buch beschreibt oder, wie Du es jetzt beschrieben hast, gemacht, um dann zu schließen, darin möchte ich nicht aktiv werden.
M.B.: Warum nicht eher auf den Begriff Künstler verzichten und sich wie alle anderen als Produzent begreifen?
Stefan Heidenreich: Und nachschauen in welchen Feldern man eigentlich produziert. Welche Öffentlichkeit will man. Und da ist es klar, daß es viel spannender ist, in einem Feld zu produzieren, das direkt an ein Publikum rückgekoppelt ist, anstatt in einem Feld, das an eine Institution gekoppelt ist.
H-C.D.: Ich möchte jetzt diesen Begriff von Publikum nicht so hoch halten. Wenn ich auf irgendeinen Dreh komme und 10 Jahre irgendwas rumbastle oder forsche, was niemanden interessiert, dann möchte ich das trotzdem tun.
Gunter Reski: Ist es bei de:Bug nicht absehbar, daß die Nische, auf die sich alle einigermaßen einigen können, ziemlich temporär ist?
M.B.: Als wir de:Bug geplant haben, haben wir nicht gedacht, daß das so eine harte Nische ist, wie es sich herausgestellt hat. Wir dachten schon eher: erste Auflage Anzeigenbudget 20.000, zweite 30.000, dritte 40.000 und so weiter. Und dann können wir minimal davon leben, und so ist es halt nicht geworden. Dennoch will ich es nicht als Nische abtun. Es funktioniert schon sehr weit. Man baut sich sein eigenes Modell und macht seine eigenen Erfahrungen, ohne sich in Hierarchien hineinbegeben zu müssen. Zum Beispiel fängt man in anderen Bereichen nicht mehr ganz von vorne an. Man hat schon eine Identität, die man selbst bestimmt hat und umgeht dadurch eine häßliche Abhängigkeit. Es funktioniert ja im Moment ökonomisch auch durch Gütertausch, wie freie Eintritte in Clubs, Platten, Freigetränke. Daß es kein Geld gibt, ist natürlich auf die Dauer ein Problem. Aber es gibt die Möglichkeit zu sagen, ich arbeite zwei Tage und tue die restliche Zeit, was ich will.
A.M.: Daß es hier aber nicht so ist wie in London, wo man ohne 40Stunden Arbeitswoche nicht durchkommt, ist auch Teil einer staatlichen Ökonomie. Die besteht aus Wohnungsmieten, Grundkosten usw. . Ich sehe allerdings auch hier, daß es sich verschärft.
S.H.: Daß es von der ökonomischen Seite keinen Puffer mehr gibt, finde ich auch ein Problem. Daß diese ökonomische Situation mit staatlichen Geldern gepuffert wäre, dagegen hätte ich auch nichts. Die Frage ist nur, wie institutionell das alles wird. Wenn das in einen Apparat ausartet, wo einige alte Männer darüber entscheiden, wer wohin verschickt wird, dann nicht. Aber die Frage bleibt dennoch, in welches ökonomische Förderungsmodell man sich am besten hineinbegibt, um Kultur zu machen.
Vierter Teil, in dem noch einige Möglichkeiten zu produzieren angesprochen werden. Eine generelle Verhinderungsform kommt aber auch zur Sprache.
Hans-Christian Dany: Wir haben doch darüber gesprochen, ob man sich nicht seine eigenen Institute einrichten kann. Wenn viele Leute ihre kleinen Produktionseinheiten einrichten, dann sind das zunächst lauter Konkurrenzunternehmen.
Ariane Müller: So ein Institut ist doch von einem Auftrag abhängig. Warum sind die großen Institute alle in den 70er Jahren gegründet worden? Weil es da einen größeren gesellschaftlichen Bedarf nach einem reflexiven Rahmen gegeben hat. Den gibt es doch nicht mehr. Der akademische Bereich funktioniert doch auch nicht mehr. Jede philosophische Fakultät schrumpft.
H-C.D.: Wenn Du vom gesellschaftlichen Auftrag sprichst, dann gehe ich eher davon aus, daß es jetzt eine Reihe von Subgesellschaften gibt. Daß sich das partikularisiert.
Stefan Heidenreich: Wir haben doch die Modelle hier um die Ecke. Es gab den Zusammenhang von Friseur und Botschaft. Das war ein eingetragener Verein. Parallel entstand diese andere Struktur, die jetzt Kunstwerke ist. Dann gibt es einen Ort wie Jazzclub. Das sind doch Orte, die sich um die Möglichkeit von einer Institution gebildet haben. Die einen werden dann so ein Kuratorenmodell, ein Museum. Die anderen lösen sich aus Unfähigkeit auf. Die anderen generieren eine Art von Öffentlichkeit. In diesem Dreieck ist ein offener Raum, in dem man tatsächlich was unternehmen könnte.
Mercedes Bunz: Obwohl ich das auch glaube, sehe ich im Moment im linkeren Kunstdiskurs keine Möglichkeit zu arbeiten. Weil es darin zur Zeit eine ganz komischen Begriff von Kritik gibt. Man muß sich immer ewig lang legitimieren, wegen allem, was man gemacht hat. Das stoppt unglaublich.
A.M.: Da muß man doch unterscheiden, zwischen einer internen Kritik an Sachen, an denen man selbst beteiligt war und einer, die von außen Projekten jegliche Relevanz abspricht, wie es eben der berlin-berlin Katalog gemacht hat, oder das Buch von Marius Babias. Eine Kritik, die einfach Begriffe entsorgt, die When techno turns to sound of poetry, trap und geld.beat.synthetic einfach als historische Irrtümer erklärt.
M.B.: Das sind zwei unterschiedliche Ebenen. das eine mal beurteilt jemand von ganz von außen, bei Biesenbach (berlin-berlin) kann man mittlerweile sogar ohne Probleme sagen, aus einem konservativen Kunstverständnis. Aber gerade intern werden sehr viele Projekte durch diese eigenartige Form der Kritik gestoppt
Diese Form der Kritik gab es ja auch gegenüber de:Bug, als Harald Fricke de:Bug plötzlich in eine Linie mit berlin-biennale und econy gestellt hat. Wofür? Man kann Sachen mit so einfachen gut und böse Linien immer sehr schnell verhindern.
H-C.D.: Man kann da aber auch eine größere Leichtigkeit im Umgang mit solcher Kritik entwickeln. Es war absehbar, daß eine solche Kritik kommen würde.
A.M.: Wir konnten mit der Kritik an Starship auch nicht so entspannt umgehen. Das hat vielleicht damit zu tun, daß man den Punkt von dem man ausgeht und wo man hin möchte nicht klar macht. Dadurch können Ziele als Absichten unterstellt werden, die umgekehrt durch eine Affirmation vorher gar nicht so negativ wären, wie sie dann als Kritik klingen. Natürlich möchte man darin aufscheinen und dann wird das diffamierend verwendet.
Ich finde da Diedrich Diederichsens Hinweis, daß es bestimmte Regeln der Freundlichkeit gibt, wie man miteinander umgeht, richtig. Ein gemeinsames Ziel zu beschwören, das ist mir nicht mehr so klar. Diese Teilung an der Kunstlinie, also will man Kunst oder nicht, die so wichtig geworden ist, die soll halt mal so bestehen bleiben. Das soll bloß alles betrachtbar bleiben, das heißt öffentlich.
M.B.: Es gibt aber auch zwei völlig unterschiedliche Vorstellungen von miteinander arbeiten. Das was im de:Bug Umfeld betrieben wird, ist immer eine Gruppenvorstellung, wie man weiter zusammenarbeiten kann. Wie sich eine Art von Gruppe erzeugt, obwohl ständig Leute dazukommen und gehen und was anderes machen.
Das andere Modell scheint die Gruppe zu sein, die sich herstellt, indem man sich abgrenzt. Das funktioniert für mich nicht. Das heißt Stillstand.
A.M.: Ich sehe den Unterschied in den Modellen eher in den sich gegenüberstehenden Annahmen entweder zu sagen, es gibt eine existierende (und funktionierende) Kunstbetriebsstruktur, wir wollen in der arbeiten und überleben oder man sagt, es wird nur funktionieren, wenn ich mir auch die gesamte Struktur miterfinde.