Die Kuratorin als Toastmaster
Zum Videoessay
Not for Sale: Feminism and Art in the USA during the 1970s(1998)
von Laura Cottingham
Versuche einer Historisierung politischer Kunstpraxis von Frauen setzen zumeist 1968 an und erzeugen das Bild einer kurzen, in den angeblich postpolitischen achtziger Jahren schnell verwelkten Blütezeit eines künstlerischen Aktivismus. Dabei waren die sog. Siebziger Jahre-Künstlerinnen z.T. bereits in den protopolitischen sechziger Jahren aktiv und haben auch in den Achtzigern ihre Hände nicht in den Schoß gelegt. Aber die Siebziger scheinen besonders geeignet für den Mythos einer Einheit oder Ergänzung von künstlerischer und politischer Frauenbewegtheit. Wenn feministische Kunst einen feministischen Kontext hatte und umgekehrt: ein feministischer Kontext seine Kunst, dann muß das damals gewesen sein. Zumindest bietet ein Rückblick, wie ihn auch Laura Cottingham inszeniert, einige Projektionsflächen für Idealisierungen.
Daß sich feministische Kunstpraxis jedoch nicht - wie oft angenommen - auf ihr angeblich angestammtes Aktionsfeld der Video- und Performancepraxis beschränkte und neben ihrer Parallelexistenz zur Frauenbewegung auch noch über andere Bezüge verfügte, hat Antje Majeweski in der ersten Ausgabe von Starship mit ihrem Beitrag über realismusorientierte Malerinnen dargestellt. Einigen von ihnen begegnet man auch in Laura Cottinghams Videoessay über Art & Feminism wieder, hier jedoch als durchge-scannte 100 Meisterinnenwerke gemalter Anliegen. Ihnen wird das Format des Videoessays nicht gerecht. Ganz anders die gezeigten Beispiele feministischen Video- und Performancepraxis: Hier bietet der Zusammenschnitt gegenüber anderen Dokumentations- und Repräsentationsformen eine erhöhte Informationsdichte. Es macht einen großen Unterschied und Spaß, Arbeiten wie Adrian Pipers The Mythic Being (1974), Yvonne Rainers Christina Talking Pictures (1976), The Waitresses’ So You Want To Be A Waitress (1978) im Vergleich und nicht als zusammengesampelte Stills oder Dokumentationsphotos sehen zu können.
Ein anderer Pluspunkt von Cottinghams Video-essay ist die Zusammenschau von Arbeiten, deren Dreh- und Angelpunkt in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im fordistischen Mittelstands-US-Amerika liegt: Architektonische Standards wie das Einfamilienvorortheim, bekanntes Motiv kritischer Kunst, wird hier als vielfältig behandelter Gegenstand sichtbar, um eine Analyse der Inneneinrichtung erweitert: Neben Martha Roslers Collagen sind Fotografien, Performances und Videos von Cynthia Maughan, Gail Samburg, Ilena Segalove, Marjorie Strieder, Florence Dryer u.a. zu sehen. Andere Schwerpunkte sind Tochter-Mutter-Konflikte, weibliche Sexualität und das Verhältnis von Handwerk und High Art: Sie bieten zwar einen Überblick über ‘neue’ Inhalte, von denen sich feministische Künstlerinnen eine politische Unterminierung herrschender Kunstvorstellungen versprachen, aber keine differenzierte Darstellung der jeweiligen Kontexte und formalen Referenzen.
Weitgehend unkommentiert und um die Möglichkeit gebracht, die künstlerisch-politischen Referenzen im einzelnen nachzuvollziehen, wird Not for Sale den offenkundig differenten Kunst-& Feminismusauffassungen nicht gerecht: Differenzen machten sich z.B. an der Überlegung von Künstlerinnen fest, welche Sprache am ehesten geeignet war, den männlich dominierten ästhetischen Kanon der Moderne zu kritisieren und/oder zu übergehen. Während Realistinnen, wie Antje Majewski schreibt, mit ihrer “Rückkehr noch hinter den ‘Beginn der Moderne’” etwas “seltsam rückwärts-vorwärts Gewandtes” versuchten, parodierten andere, männlich codierte Klassiker der Kunstgeschichte und Ikonen der historischen Avantgarde als Zitatvorlage (z.B. Mary Beth Edelsons Some Living American Women Artists. Last Supper (1972) oder Hannah Wilkes Hommage à Marcel Duchamp). Ein weiteres Differenzfeld, das Cottingham in ihrem bewegten Bilderbuch ausstreicht, ist das des Repräsentations- und Öffentlichkeitsbegriffs - ein Problem, das sich vielleicht mit Cottinghams kuratorischer Toastmasterfunktion erklärt. Nicht alle vorgestellten Künstlerinnen hatten ein Interesse am Kunstbetrieb und dies auch nicht einmal unbedingt nur aufgrund der dort herrschenden Geschlechterverhältnisse. So wird bei der Leküre von Einige Realistinnen deutlich, daß diesbezügliche Informationen bei Cottingham fehlen, daß z.B. “(i)hre Arbeit (die von Chicanas und Latinas, Anm. d. Verf.) (...) von vornherein nicht auf ein Kunstpublikum ausgerichtet (war), sondern vor allem auf die
Bevölkerung der jeweiligen Stadtviertel.” Statt die tatsächlichen Überschneidungen und Konflikte zwischen und innerhalb politischer und künstlerischer Aktivitäten darzustellen, werden sie dem Politik-als-Kontext-von-Kunst-Blickwinkel Cottinghams unterworfen. Dieser scheint keine Differenzierungen und Widersprüche zwischen politischen Zielsetzungen, gesellschaftlichen Positionen und feministischen Kunstpraxen zuzulassen. Unter dem Primat des Einzuges ausgeschlossener Künstlerinnen in zeitgenössische Museen werden diese einer Homologisierung unterworfen.
Not for Sale weist jedoch nicht nur Vereinfachungen in bezug auf feministische Kunstpraxis auf. Wenn inhaltliche Differenzen zwischen einem lesbischen und heterosexuellen Feminismusbegriff wie z.B. anhand der Rede von Jill Johnston (“Lesbian Nation”), des L.O.V.E. Collective ( Lesbians organized for Video Experience (N.Y.C.1973) und des Lesbian Art Project, an Oral Herstory of Lesbianism (1979) nur angerissen werden oder aber die Diskriminierungen von schwarzen Frauen auf dem Arbeitsmarkt von Howardena Pindell repräsentiert werden, dann erscheint die Frauenbewegung wie eine Sammlung von Stimmen, die pluralistisch funktioniert. Daß dabei ‘Minderheitenpositionen’ auch solche bleiben, liegt nicht nur an der Übergewichtung künstlerischer Produkte weißer Mittelständlerinnen.
Der Videoessay signalisiert zwar Bewußtsein über die Unmöglichkeit, weibliche Identität als universelle
Kategorie aufzufassen; gleichzeitig aber wird dieses Bewußtsein mit Bildern übertönt, die eher auf Sisterhoodfeelings abheben als auf genauere Informationen über die gezeigten Aktivitäten. Historische Ereignisse wie die angebliche öffentliche Verbrennung von BHs und anderen ‘weiblichen’ Ausstattungsgegenständen bleiben ebenso unkommentiert als Atmo-Flair hineingeschnitten wie Proteste von Arbeiterinnen, kulturelle Veranstaltungen im Womenhouse, der Streik der ‘Housewives in Stockton, Californien’ und der ‘March for Women’s Rights N.Y.C., Aug.26, 1970’. Das Video bietet - mit Ausnahme von Judy Chicagos Fresno State Feminist Art Program - keinerlei genaueren Informationen über die jeweiligen Hintergründe und vermittelt auf der Ebene der Bildsprache den Eindruck, als hätten sich Frauen damals en gros für die separatistische Lösung einer schwulen- und männerfreien Art & Feminismuszone entschieden.
Laut Laura Cottingham enstand der Videoessay aufgrund der Weigerung des Whitney Museums, eine Ausstellung mit feministischer Kunst der siebziger Jahres zu machen. Eine offenkundig ungehaltene Zuschauerin stellte anläßlich einer ersten öffentlichen Vorführung fest, daß die meisten im Video gezeigten Arbeiten schlichtweg schlecht (“reine Abspiegelung”) seien, sowohl bezogen auf einen kritischen Kunstdiskurs als auch bezogen auf einen kritischen Feminismusdiskurs: Gegenüber der vorgeführten Kunst seien feministische Politikformen damals weitaus fortschrittlicher gewesen. Die im Anschluß geführte Qualitätsdebatte beförderte ein ungelöstes Dilemma zu Tage: Wer denn nun mit welchen Gründen bestimme, was gute Kunst sei und daß geltende Qualitätskriterien das Resultat eines männlich dominierten Kunstbetriebs seien. Leider ging bei dieser Debatte verloren, daß einige der Beiträge nicht darauf aus zu sein schienen, als Kunst (resp. Kunstgeschichte) funktionieren zu müssen, was wiederum nicht heißt, daß sie in ihrem Nicht-per-se-Kunst(-Geschichte)-sein-Wollen keine Herausforderung an die Frage darstellen, was wäre, wenn es als Kunst akzeptiert worden wäre oder heute - aus Gründen historischer Würdigung - als solche akzeptiert werden würde (das sind die Fragen, die sich der kritischen Avantgarde stellten: Immer an den Punkt der Second Order-, der Nicht-Kunst-Kunst treiben, denn nichts ist schlimmer als ein kanonsicherndes Referenzsystem). Daß es zur Qualitätsdebatte kommen mußte, liegt aber nicht zuletzt an der Dramaturgie des Videos: Selbstdarstellungen, die vom (eigenen) Opfer-Ich und dem patriarchalen Über-Ich handeln, wirkten im Kontext einer kritischen feministischen Kunstpraxis wie zum Abschuß freigegeben. Zum Schluß sieht es so aus, als seien Frauen in Judy Chicagos Fresno State Feminist Art Program oder der A.I.R. Gallery ständig damit beschäftigt gewesen, sich ein identitätsfeministisches Bewußtsein und Selbstermächtigungsstrategien anzutrainieren. Ungewollt fördert die Autorin pauschalisierende (Vor-)Urteile gegenüber feministischer Kunstpraxis. Zu fragen wäre auch, wie die vorgestellten Akteurinnen ihre symbolischen Aktionen und künstlerischen Arbeiten heute sehen. Ohne einen Kommentar bleiben sie auf die ihnen zugeteilte historische Bedeutung (authentische Gelebtheit) festgelegt. Daß sich Laura Cottingham als Stimme aus dem Off in die Rolle der Archivarin, Chronistin und des kuratorischen Toastmasters begibt, ohne den im Video auschnitthaft angedeuteten (selbst-)kritischen Diskussionen feministischer Künstlerinnen und Aktivistinnen gerecht zu werden, war das, was am unangenehmsten auffiel: Der Protektionismus zeigt hier seine unterschlagene instrumentelle Seite.