Immer wieder fragen Bücher
Marcel Proust, Sodom und Gomorrha
Sodom und Gomorrha stellt in der von Eva Rechel-Mertens übersetzten Suhrkamp Ausgabe zwei Bände dar. Es ist der letzte Teil der Suche nach der verlorenen Zeit, den Proust noch selbst herausgegeben hat. Die verschwundene Albertine und die wiedergefundene Zeit sind, als Bücher wie als Titel, unautorisiert erst nach seinem Tod veröffentlicht worden.
Fast jeder Teil der Recherche spielt lediglich in zwei bis drei Situationen. Sodom und Gomorrha zunächst bei einer Abendgesellschaft bei den Guermantes, nachher ein Warten auf Albertine und weiters die Beschreibung eines Landaufenthalts des “kleinen Kreises”. So oft ich es lese, erscheint mir der ganze Band extrem zusammengezogen. In meiner Art Bücher zu lesen, die darin besteht, wahllos hintereinander verschiedene Seiten zu lesen, bis sich die Geschichte zusammengefügt hat, kann es passieren, daß ich den Eindruck habe, immer wieder die gleichen Stellen zu finden.
In einem Gespräch, aufgrund dessen ich das Buch wieder geöffnet habe, ging es darum, daß Sodom und Gomorrha erst nach dem Tod von Prousts Mutter geschrieben bzw. publiziert wurde und deshalb eine andere Position innerhalb des gesamten Romans einnimmt. Es hieß, daß vorher die Rücksicht auf die Mutter ihn davon abgehalten hätte, so explizit über seine Homosexualität oder innerhalb seiner Homosexualität zu schreiben, wie es in diesem Band der Fall ist.
Irgendwann hat sich auch die populäre Rezeption Prousts (z.B. die Rowohlt Monographie) auf eine Lesart Albertines als Albert samt zugehörigen zeitgenössischen Besetzungen eingeschworen. Das macht die Geschichte plausibler, denn das Motiv der Eifersucht auf die ständig im Licht eines (explizit so genannten) unmoralischen, nämlich lesbischen, Wunsches untersuchte Albertine, ein Wunsch, der im Roman als (wenn auch seufzend so doch) irgendwie unverhinderbar beargwöhnt wird, ist mit umgekehrten sexuellen Konnotationen in einer heterosexuellen Welt allgemein lesbarer.
Jene lange Eifersuchtsbeschreibung kommt auch in Kafkas Tagebüchern vor. Er liest die Stelle vor oder er empfiehlt sie. Hier trifft sich die einfache Lösung, die durch z.B. die Monographie vorgeschlagen wird, die den homosexuellen Wunsch als so ohnmächtig darstellt, und daraus die Eifersucht erleben läßt, auf die darin mitbeschriebene Eifersucht auf die Welt, die funktioniert, Kafkas Punkt: Albert(ine)s Herumlachen im Freien, in der Öffentlichkeit mit ihren Freundinnen.
Versucht man dem in der von Proust vorgegebenen Lesart zu folgen, gibt es ein Insistieren auf diesen Punkt, das den Roman durchzieht. Und das wird auch in Sodom und Gomorrha nicht expliziter und in dem ganzen Roman nicht, gerade weil Homosexualität auch immer offen mitbesprochen wird. A.M.
André Gorz
Wege ins Paradies
Rotbuch Verlag, Berlin
André Gorz ist der Meinung, daß sich das mit der Weltwirtschaft bald nur noch ausgeht, wenn die Maschinen Steuern zahlen und die Menschen dafür bezahlt werden, einkaufen zu gehen. Seines Erachtens ist er zusätzlich der erste, der vor dem Ökofaschismus gewarnt hat. Mit Kommunitarismus hat er jedenfalls nichts am Hut. (Er war unter Mitterand auch mal Wirtschaftsberater)
Es ist eine Postarbeitsdiskussion und er einer der Menschen, die sich auf Zeiten der Krise freuen, weil es auch Zeiten sind, in denen sich alles neu entordnen kann. Zum Beispiel die Arbeit.
Nachdem mir ebenfalls viel daran liegt, daß zum Begriff Arbeit eine neue Verhältnismäßigkeit hergestellt wird, die mich nicht mehr einschließt, sehe ich mit Hilfe des Buchs Szenarios samt Beschreibung des Weges dorthin, die Freude auf die Zukunft vermitteln können. Zusätzlich denkt er auch internationaler als viele Vertreter des Grundeinkommens. Dann wieder schwenkt er doch auf subsidare Kleinstproduktionen und da klappt man das Buch dann wieder zu.
Hier aber aus der Einleitung, fast mit dem Katholizismus versöhnend:
Adam und Eva erfreuten sich vor der Vertreibung aus dem Paradies eines sorglosen Lebens im Überfluß, und das ohne Arbeit.
Erst nach ihrer Vertreibung mußten sie und ihre Nachkommen sich kümmerlich durchschlagen, dazu verdammt, vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung zu arbeiten.
(Wassily Leontief, in Scientific America, 11, 1982)
A.M.
Mathias Poledna (Hg.)
The making of
Das vor kurzem von dem österreichischen Künstler Mathias Poledna herausgegebene The making of´ ist das Katalogbuch zur gleichnamigen Ausstellung in der Wiener
Generali Foundation´, die vor einem Jahr stattfand.
Das Lesen ging an dem Buch, bis auf Eselsohren, fast spurlos vorüber. Ich habe nichts hineingeschrieben. Weder langweilte es mich, sodaß ich das Buch zu einem Notizbuch umfunktioniert hätte, noch stieß der Inhalt bei mir auf soviel Widerstand, daß ich eine Gegendarstellung an den Rand notiert hätte. Es fand sich aber auch so recht kein Ansatz, an dem ich weiterschreiben wollte. In dem, was ich las, stellte sich die Befindlichkeit eines Touristen zu Gast in anderen Verhältnissen ein. Weder bin ich Österreicher, was einen als Kulturproduzenten wohl wirklich anders strukturiert, noch arbeite ich, vielleicht auch, weil es sich nicht ergab, mit kapitalstarken Versicherungen, wie Generali. In Polednas Buch könnte dieses Fremdsein auch intendiert sein, bewegen sich die Stimmen im Buch doch selbst in Zusammenhängen, mit denen sie meist nichts zu tun haben wollen.
Merkwürdig spiegelt sich dieses Gefühl der Distanz auch in dem Titel des Buches, der auf
Filmproduktion anspielt. Betont wird dies durch die Abbildung auf dem Innencover des Buches zu Stanley Kubricks Film `Odysse 2001´. Der Filmverweis löst bei mir die Assoziation eines von Vorgängen Getrennt-seins aus, die nur ein Lichtspiel auf der Leinwand sind. Verstärkt wird dies dadurch, daß ein Science Fiction Film aufgerufen wird. Es stellt sich die Projektion einer möglichen, so nicht vorhandenen Realität ein.
Im Vorwort erklärt Poledna, mit welchen Politikverständnissen im Kunstbereich er weniger bis gar nichts am Hut hat. In seinen Einschätzungen liegt ein Moment des Suchens. Ich hätte seinen Vorschlag, der sich in der Ausstellung ausformulierte, nicht gemacht, teile aber viele der Beweggründe. Gegen das, was er als festgefahren ausmacht, schlägt er die Entwicklung weniger “berechenbarerer” Modelle vor. Daß die Ausstellung dies vielleicht eingelöst hat, macht Poledna an ihrer widersprüchlichen Wahrnehmung fest. Diese Rhetorik scheint nach der Medienresonanz legitim, geht sich aber nur bedingt aus.
Gemeint ist mit den widersprüchlichen Betrachtungen der Ausstellung vor allem ein Echo, das den richtigen Zeitpunkt gekommen sah, nun einmal enthemmt auf das einzudreschen, von dem es annahm, es hätte ihm die 90er Jahre so sauer und fad gemacht. Ein Gespenst, auf das sich AutorInnen, die man auf dem Kunstterrain, das sie quälte, selten sah, in letzter Zeit gern einigen können.
Womit dieser Frage schon genug Platz eingeräumt wäre.
Polednas Buch besteht zu einem Drittel aus Text, einem mittleren Drittel aus Bildern und der Übersetzung des ersten Drittels ins Englische. Bei den Texten handelt es sich größtenteils um Gespräche mit den an der Ausstellung beteiligten KünstlerInnen: Simon Leung, Dorit Margreiter, Nils Norman und Mathias Poledna. Geführt wurden diese von Sabeth Buchmann und Nicolas Tobier.
Auffällig ist in dem Gespräch mit Nils Norman, wie sehr sich dieser von den Vorschlägen für Umstrukturierungen von Orten, hier der Versicherung, in eine vage Zwischenrealität distanziert. Um eine symbolische Ebene, die bestimmten Anforderungen des Kunstbetriebes entgegenkommt, scheint es aber in dem Buch zu gehen. Explizit benennt dies später Christian Höller in seinem Begleitessay - `Vorarbeiten für ein symbolpolitisches Kontextverständnis´. Höller plädiert für eine stetige Performation vorgegebener Strukturen. Große Überraschungen bringt der Text nicht mit sich, zieht aber eine Reihe Fäden angenehm klar zusammen. Überhaupt geht es in dem Buch, der Herausgeber-Ankündigung des “Unberechenbaren” zum Trotz, wohl auch weniger um ein nach vorne als um das Unterstreichen einer schon gemachten Behauptung.
Die teilweise sehr komplexen Überlegungen zu den Folien, zwischen denen sich die Sprechenden bewegen, sind, wie in dem Gespräch mit Dorit Magreiter, spannend zu lesen, nur liegt in ihren Überlegungen auch eine Feinteiligkeit, in der die daraus resultierenden Gesten weniger symbolisch als abstrakt wirken. H-C.D.