Minimal sorgt für mich
Manchmal muß ich mir Dinge nur lang genug vorstellen, damit sie wirklich werden. Eine Weile war meine Lieblingsvorstellung vom MiniMal ausgehalten zu werden. Einer würde mich dort mögen und eine Zeit durchschleifen.
Dann stand es in der Zeitung, darum könne man sich jetzt bewerben. Ich fuhr sofort hin und fragte nach. In meiner Filiale wußte die Marktleiterin noch nichts davon, gab mir aber die Nummer der Zentrale. Die Leute dort erklärten mir, ein Agentur sei durch den Minimalismus-Boom des letzten Sommers draufgekommen, daß es Sinn macht.
Die Leute von MiniMal hatten nicht gewußt, daß es den Minimalismus gab, fanden ihn aber schmeichelhaft. Man hatte schon länger einen Mangel an Erscheinung verspürt und die Information über das bisher Unbekannte passte in ein Bedürfnis danach. Die Kunden würde wohl noch Zeit dafür brauchen, meinte die Öffentlichkeitsarbeiterin, aber der Versuch koste ja weniger als eine Wurfsendung.
Dann zeigte sie mir ein Buch mit auf sich selbst reduzierten Klötzen und Kisten aus denen die Bedeutung quoll. Etwas in der Art fertigte ich in den Tagen danach an und bewarb mich. Jetzt ging ich öfter zum Postkasten und einen Monat später erhielt ich einen Brief, man habe sich für mich entschieden: Ich bräuchte jetzt zwölf Monate nicht mehr an der Kasse stoppen, mein Einkaufswagen würde einfach durchgewinkt.
Als ich das erste mal meine nichtbezahlten Waren einpacke erklärt die Kassiererin den Kunden, die hinter mir in der Schlange stehen, "das ist dies Jahr unser Künstler, der darf umsonst einkaufen". Anfangs war es mir gegenüber den anderen in der Schlange peinlich. Ich kaufte immer nur wenig ein. Mal ein Wasser, ein Schokoriegel, Zigaretten und kam lieber drei bis vier mal am Tag. Auch habe ich mir nie eine neue Tüte gekauft, sondern die Benutzten immer wieder mitgebracht.
Die Kassiererin, die wahrscheinlich gedacht hat, unser Künstler kann doch nicht mit den gebrauchten Tüten rumlaufen, hat jedesmal gesagt, "nehmen Sie doch eine neue Tüte, sie kriegen die doch umsonst". Mir fiel dann nur so was ein wie, "...ist doch nur für die Milch". Eine Menge Tüten habe ich mir doch andrehen lassen. Draußen zog ich dann über die bunte MiniMal-Tüte eine graue Tüte.
Es hat eine Weile gedauert, bis ich es genießen konnte, die Großzügigkeit der Kette zu verkörpern und die Marktleiterin ein Taxi für den Inhalt meines übervollen Einkaufswagens rufen zu lassen.
Als Werbemaßnahme für MiniMal hatte ich eine Vorortpräsenz, sagte man mir - ja, ich war fast zum anfassen. Das stimmt schon. Die Leute in meiner Filiale kannten mich jetzt. Zwar kaufe ich hier schon seit Jahren, aber das ist niemand aufgefallen. Jetzt erkannten sie mich. Es wurde sogar über mich gesprochen.
Wenn es mir zuviel wurde, versuchte ich mir klar zu machen, daß es nächstes Jahr wieder aufhört und ich wieder ein normaler Kunde sein würde.
Einige MiniMal-Kunden fanden auch, daß ich als kulturelle Maßnahme das Letzte sei und alles auf die Preise draufgeschlagen wird. Während meiner Ausstellung auf den Schildern, die sonst die Angebote vorführen, wurde ich sogar in einem kameralosen Gang mit einem Einkaufswagen brutal angefahren. Fraglos mit Absicht. So was muß man als MiniMal-Repräsentant hin nehmen, es seien Schatten der Liebe, meinte die Marktleiterin.
Unterm Strich war das Leben in der MiniMal-Förderung aber gut, weil es eine saubere Kette ist, die immer
schon die neuen Sachen aus der Fernsehwerbung hat. Auch schlägt einem die Auslage nicht so wie bei `Penny´, den eigenen Mangel um die Ohren, wo der niedrige Preis dadurch bewiesen wird, daß sich niemand um den Aufbau der Dinge kümmert.
Überzeugt haben mich auch die von der Decke baumelnden Klingeln. Wer es eilig hat, kann darauf drücken, wenn die Schlange an der Kasse zu lang wird. Ein Sprechautomat bedankt sich für den Hinweis und sagt, daß gleich eine weitere Kasse geöffnet wird. Weitere Kassen werden aber erst geöffnet, wenn die Kassiererinnen, wie früher mit einer Weihnachtsglocke läuten.
Letztlich glaube ich, betrachtet MiniMal den tertiären Sektor als Witz. Man verkauft hier einfach Dinge in einen klar abgesteckten Kontext, an dem es nichts zu verändern gibt. Die Dinge müssen ihren Platz im Regal haben, sonst findet die Kundin sie nicht, was in der Kunst wieder ähnlich ist. Da haben beide Seiten sich sicher etwas zu sagen und einige könnten dabei sogar auf einen grünen Zweig kommen. Es war eine gute Zeit mit dem Stipendium vom MiniMal. Ich kann es empfehlen.