Raumfahrt ’98 - zum Nutzen der Menschheit
Kongreß und Ausstellung
Haus der russischen Wissenschaft und Kultur, Berlin
Is there anybody out there - speaking english? Eigentlich müßte es der amerikanische Astronaut Terry Wilkat ja gewöhnt sein. Trotzdem lauscht er ein bißchen ungläubig in den absolut stillen Raum.....- keine Antwort - kalter Krieg auf der Kommunikationsebene? Der schallgedämpfte Konferenzsaal im Haus der russischen Wissenschaft und Kultur verschluckt die Frage.......gut, dann wird man eben nicht ihm, sondern den beiden unaufgeregten Simultan-übersetzerinnen zuhören, die das Ganze professionell abgekühlt aus ihrer engen Glaskabine rüberbringen: die meisten Kongreßteilnehmer schalten auf russisch. Russisch ist Weltraumsprache und dem trägt der französische Astronaut Jean-Piere Haignere selbstverständlich Rechnung, später, bei seinem Vortrag. Man weiß doch, was man von einem konversationsmäßig kultivierten Menschen erwarten darf: französisch bei Hofe, englisch in der Wirtschaft, russisch im All. Schließlich waren die zuerst da.
Ein Kosmonautenkongreß in Berlin ist, als wäre man plötzlich mitten in einem Hitchcock -Film, beyond the iron curtain. Auch wenn es nicht unverständlich um Geheimformeln geht, die in rasender Geschwindigkeit mit Kreide an die Tafel geschrieben werden, sondern nur um Geld und warum man es ausgeben will. Der Stil ist jedenfalls absolut film- echt: der Saal, die grauen Anzüge, hinter riesigen Brillen die verschlossenen Gesichter. Der militärische Ernst ist noch nicht ganz raus aus der Sache, auch wenn man sich jetzt bemüht, auf ziviler Ebene zu überzeugen: jeder hat ein Handy, jeder kennt die Wetterkarte. Die Polkappen müssen observiert werden. Pinguinanzüge, die Schwerelosigkeit simulieren, werden heute in 40 russischen Spezialkrankenhäusern bei der Therapie von Kinderlähmung eingesetzt. Raumfahrt - zum Nutzen der Menschheit.
Angekündigt als Stargast Vera Tereschkova, die erste Frau im Weltall. Sie kann leider nicht kommen. Sie muß sich in der Duma für Geld einsetzen. Für die russische Raumfahrt, die heute im internationalen Vergleich immer noch überlegen ist, weil sie viel billiger ist als die europäische oder amerikanische. Schon allein deswegen darf man Rußland in der Krise jetzt nicht rauskicken aus dem Allgeschäft, schließlich ist Sparen auch für Reiche interessant, sagt Alexander Alexandrowitsch Serebrow, Fliegerastronaut und Held der Sowjetunion.
Draußen vor der Tür gibt ein Mann in aller Gelassenheit ein Interview: in zwei Minuten könne er unmöglich sagen, wie es im Weltraum ist, übersetzt die ihm zur Seite gestellte Dolmetscherin geduldig, obwohl sie jetzt ganz gerne eine Zigarette rauchen würde. Talgat Amangildjewitsch Mussabajew, sieben Monate lang Kommandant der Mir, Held Kasachstans. Unter seinem Kommando sind wie üblich fünf Versuchsreihen durchgeführt worden. Alle fünf gleichermaßen erfolgreich abgeschlossen worden, wie üblich.
Woran hat er im All gedacht? - Nun, wenn es die Zeit bei der ganzen Arbeit erlaubt hat, waren wir mit unseren Gedanken immer bei unseren nahen Verwandten.
Der Traum von den Sternen auf der Erde und der von der Erde in den Sternen? - Absolutely correct.
Der deutsche Astronaut Reinhold Ewald verfällt auch nicht gerade in Weltraum-Romantik. Primitiv kann man nicht sagen, aber es geht schon sehr einfach zu in einem Raumschiff. Ja, es könnte schon bald losgehen mit dem Weltraumtourismus, aber wer soll das genießen?
Und das Wunder? Der blaue Planet? - Die Erde unter einem - naja, sieht aus, als ob ein Atlas unter einem durchgezogen wird. Das Tollste? - Die reibungslose internationale Zusammenarbeit im Himmel.
In der Ausstellung dann wieder: russia rules, Gagarin vor allem. Gagarin als Gemälde, als buntes Glassteinchenmosaik, Gagarin in einen Bergkristall geritzt. Kosmonauten als Webteppiche, Spiegel-Bilder. Dazwischen Raumanzüge, Astronauten-Ausrüstung. Die Stunde der Kosmos-Fans schlägt: jetzt Autogramme sammeln. Natürlich sprechen sie russisch, aber sie verwechslen schon mal die Namen: Entschuldigung, mein Gott! Wie konnte mir das nur passieren....ärgerlich über sich selbst wird die Trophäe in eine dicke Aktenmappe eingeordnet. Eine Unterhaltung ist nicht möglich. Wie bitte? Sind Sie verrückt? Ich hab hier viel zu viel zu tun. Das nächste Foto wird rausgezogen, fürs nächste Autogramm. Das gibts schließlich nur einmal im Jahr: die versammelte Himmelsprominenz auf Erden.