Ideologie / Kritik

Vis à vis

Verweilen im Konservativen

Linien in ihrem nachtblauen Meer. Daß ihr schmutziges Geheimnis früher oder später auffliegen mußte, entlarvt als kaltblütiger Mord eines ungerechten Tauschs, läßt die Bewunderung noch auf der ganzen Linie steigen - Warhol’s Werbezeichnungen z.B. sagen: Wie das manche Waren nur machen, sich so dekorativ in sich zu verbergen, ohne aus dem Gleichgewicht zu geraten? Das glatte Gegenteil ist der Fall, wenn die (selben) Dinge in der Galerie liegen - gerade auch die Marx kundigen: aus einem Zaudern, einem schlechten Gewissen heraus, verfangen sie sich in einer selbstbezüglichen Lüge - genannt Ausdruck. Und gerade weil die scheinbar neutrale Umgebung jederzeit bereit ist, einen königlichen Empfang zu geben, gleicht die Szene immer wieder dem infantilen Familienvater, der sich nach Feierabend heimlich in den Hobbykeller verbannt, um mit der Eisenbahn zu spielen.

Damit kein Mißverständnis entsteht: diese Verschiebung, hin zum reinen Konsum, macht die Stärke von Kunstprodukten aus, ihr offensichtlich fehlender, unmittelbarer Gebrauchswert macht sichtbar, daß eine Ware nur solange Wert hat, wie sie nicht genossen wurde oder anders gesagt: der Augenblick des Genusses konsumiert gleichsam den Wert, den der soziale, ökonomische oder semiotische Tausch (z.B. die Galerie) der Ware zugeschrieben hatte, und reduziert sie somit gleichzeitig zu metaphorischem Müll. Und es ist äußerst fraglich, ob dieser sorglos-euphorisch-kritisch-ästhetische Verbrauch ohne eine wertstiftende Institution, die für ihn bürgt, überhaupt möglich ist, ohne daß der angestrebte Tausch empfindlich gestört wird. Kann ästhetisches Vergnügen außerhalb der lästigen Rituale von Wunderkammern getauscht werden, die aus Etwas Wert und aus Wert Nichts machen (Straße, Wohnung, White Cube, Club, Kinosaal, TV). Wenn man berücksichtigt, daß neutral, glatt und selbstverständlich erscheinendes vielleicht einer Nichtlogik folgt: wie Puzzleteile, die aber nicht zu einem, sondern verschiedenen Puzzles gehören: immer lokalisiert, aber nie spezifisch, mit ihren nicht zueinander passenden Rändern, die gewaltsam ineinandergezwängt, ineinandergeschachtelt werden und stets Reste übrig lassen ... jetzt komm mir nicht mit Collage! Ein harmloser Biedermeiersessel, der von Generation zu Generation weitergereicht wird, ein selbstloses Objekt, das uns auf seine eigenen Kosten Vergnügen bereitet, eine flüchtige Begegnung, die an einem lauen Abend restlos inhaliert wird?

Schön wär’s! Was nicht bewegt werden kann, ist das Prinzip des Stuhls selber, seine nackte Form wird mit eiserner Faust regiert: vielleicht sind es ja unzählige, immer mächtigere Untersager und ihre Macht ist das Aufschieben, ein endloses Aufschieben, das Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre dauert und schließlich bis zum Ende. Aufschub für den Tod ohne Ende des “noch nicht!”, “nicht jetzt!”, “gleich!”, “später!”. Daher das Interesse an einem kleinen Glück - hier und jetzt: “das kann mir keiner nehmen”. Was aber verzögert wird, ist nicht diese oder jene Erfahrung, der Zugang zu einem privaten Genuß, zum Vergnügen allgemein, was auf immer verschoben wird, ist der Eintritt in den Betrieb selbst, der selbst nichts anderes darstellt als das, was die Verzögerung diktiert. Auf diese Weise ist jeder drin, ohne drin zu sein und dabei spielt keine Rolle welcher Betrieb und ob der Tausch gerecht oder ungerecht ist, denn im Akt des Bezahlens liegt immer selektive Gewalt. Der Betrieb als Teil des Marktes untersagt, indem er interferiert und verschiebt: den Bezug, die Relation, die Referenz, darin besteht seine Betriebsamkeit. Der Ursprung des Aufschubes, das ist es, was nicht nahekommen darf, nicht nahekommen kann, sich nicht repräsentieren läßt und was nicht durchdrungen werden kann. Das ist das

 

Gesetz der Betriebsamkeit sowie die Betriebsamkeit des Gesetzes: ein schwebendes Verfahren, von dem man niemals genau sagen kann: “das ist es”, hier oder da.

Aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn auf der anderen Seite sind die Angeklagten prinzipiell die Schönsten, man erkennt sie an ihrer selt-samen Schönheit. Denn sie alle wünschen sich eine todsichere Waffe ... einen Strahl, ein Artefakt. Nichts ist grauenhafter, als vor einem tödlich entschlossenen Gegner zu stehen und nur eine psychische Waffe zu haben, von der man nicht weiß, ob sie funktioniert. Das ist der Augenblick, wo man ganz tief in die Kiste greift ... man fühlt den bedrohlichen Rückschluß, daß man dem Gesetz (des Marktes) so oder so immer schon zu nahe gekommen ist. Und jene Logik ist weder natürlich noch eine Institution. Darum hat man im Grunde solange nichts erreicht, als es nicht gelingt, Elemente auszumachen, die nicht assoziierbar sind, oder so lange man diese nicht unter der Form, worin sie nicht mehr assoziierbar sind, erfaßt hat. “Künstlerin” durch “Kulturproduzentin” zu ersetzen, hieße: Regie und Regime der begeisterten Zunge zu folgen. Die zu schnelle Rückkehr des Dings zu sich: Man muß in die Definition des Objekts immer auch seinen Namen einschließen; umständlich imitiert Kunst Dienstleistung und umgekehrt. Nie sind die Dinge und Namen gleichberechtigt nebeneinander auf einer gesellschaftlichen Schicht oder Realität angeordnet, weder sind sie ein fester Bestandteil dieser Realität, noch aus dem selben Material. Immer guckt etwas hervor, das sich nicht integrieren läßt und man sollte zögern, wem man den Namen “Rest” gibt. Das einzige Problem besteht in der Verteilung auf einer Intensitätsskala, die einer jeden Szene und jedem Ding ihren Platz und Gebrauch zuweist: es gibt dies und dann das, versuchen wir, da klar zu kommen, unser Pech, wenn es uns nicht gefällt. Denn in Wahrheit gibt es niemals Widersprüche, weder scheinbare noch reale, sondern nur Stufen des Humors - die große Frage ist nur: wer lacht sich über wen tot?

Von einem bestimmten Standpunkt aus funktionieren die Dinge, die sich einem anbieten, nie so, wie sie hergestellt wurden. Es insistiert darin eine winzige Lücke. Eine gewisse explosive Eile, die die Form selber sprengt: wie wenn man versucht, ein Sandloch von einfließendem Wasser freizuhalten, um den glitzernden Grund nicht aus den Augen zu verlieren; eine ernste Sache: wie ein Feuerwerk in einem geschlossenen Raum. Daniel Johnston zerlegt die Zeit mit zwei Spielzeugpistolen in knallende Bewegungsschnitte, Peng ... Peng Peng ... Peng, in Rhythmus, über den sich gut krächzen und klagen läßt, und beweist, daß es für so eine Tat keiner privilegierter Werkzeuge bedarf. Soviel zum Verhältnis von Geld und Musik.

Rette sich wer kann! Das Kino betrifft es komplett: der Film steht in unmittelbarer Beziehung zu einem permanenten Komplott einer internationalen Konspiration, die ihn innerlich bestimmt und die sein intimster und unentbehrlichster Feind ist. Geld, die von der Zeit in den Austausch versetzte Inflation: unaufhörlich den ungleichen Austausch ohne Äquivalent wieder in Gang zu bringen; Bilder gegen Geld, Zeit gegen Bilder zu liefern, Zeit, die durchsichtige Seite, in Geld, die undurchsichtige Seite, zu verwandeln. Wir haben dieser Welt der Explosionen, Rotationen, und Vibrationen viel zu verdanken. Der Film wird dann zu Ende sein, wenn kein Geld mehr da ist !

fin ... nicht nur der Film ... komm wir machen ein Picknick, dort unter dem seltsamen Magnolienbaum ...

Mehr als ein Vogelnest, weniger als eine Wohnung !

Letztens (siehe Starship Nr.1 Seite 45) habe ich leichtsinnigerweise versprochen, unter ideologiekritischer Sicht die beiden auf Stadt angesetzten soziologischen Streifschüsse mit Namen: "broken windows" und "Gentrifikation" auf einen sprachlichen Platz zu quetschen, um zu sehen, wo sie heimlich zusammenarbeiten. Ich glaube mittlerweile, es ist besser, von einer Gentrifikation in der Darstellung: A broken window in the eye auszugehen.

 

Wie dem auch sei, ich schlage vor: unter dem Gesichtspunkt "365 Tage schwebende Ökonomie", sich im Zeitraum von Silvester 99 bis Silvester 2ooo mit diesem Kurzschluß zu beschäftigen. Das ist naturgemäß weniger als ein Thema und mehr als eine Gebrauchsanweisung: vielmehr ähnelt es von weitem einem Picknick, einer Art Ungleichgewicht: unpersönliche, zufällige, lokale Situationen, die punktuell kollektiven Sinn erzeugen - versus: Kollektiv-Subjekt-Wir-Typ und Einzel-Subjekt-Ich-Typ. Begegnungen, die prinzipiell kein Morgen kennen. Der Text (Vis-à-vis) ist selber schon ein Beitrag zu diesem Unterfangen.

 

Als Raum steht ein Teil des Ladens: Schröderstr.9 Ecke Bergstr. in Berlin Mitte zur Verfügung (2 Wände und ein Schaufenster), es können aber andere Räume, an anderen Orten, dazukommen und warum sollte man nicht auch Dinge schicken können?

  

Kontakt:
Nicolas Siepen,

Schönhauserallee 64

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Tel/Fax:

++30 / 44 55 302

Email: schroeder@Berlin.snafu.de

Starship 2: Subjeskie Point - Cover You Never Know
  1. Editorial #2 Starship, Martin Ebner, Ariane Müller, Gunter Reski, Hans-Christian Dany
  2. Auf der Stereotaxie Michaela Eichwald
  3. Annoncen Martine Anderfuhren, Rachel Mader
  4. Fotogramme Markus Amm
  5. Point of view Natascha Sadr Haghighian
  6. Minimal sorgt für mich Hans-Christian Dany
  7. Einige zerfahrenen Gedanken um die Berliner Institution Kunstwerke Ariane Müller
  8. Volltext mit Bildboom Gunter Reski
  9. Das Institut Ariane Müller
  10. Don Quixote Judith Hopf
  11. Digital Saniarts Florian Zeyfang
  12. Christine Lemke Christine Lemke
  13. 40.000 Mercedes Bunz, Stefan Heidenreich, Ariane Müller, Hans-Christian Dany, Gunter Reski
  14. Vis à vis Nicolas Siepen
  15. Reykjaviks city children Egill Saebjornsson
  16. Russian art and the economic crisis in Russia Joseph Backstein
  17. Kofferökonomie Gülsün Karamustafa, Ayse Öncü
  18. Poster Nathalie Richter
  19. Die Kuratorin als Toastmaster SMEK
  20. Immer wieder fragen Bücher Starship
  21. Tanzania Aids Marisa Maza, Hans-Jörg Dilger
  22. Photographie und Gedenken Diedrich Diederichsen
  23. Schieß deinen Schuß Ingo Niermann
  24. Fünf Seiten im Kopf eines Künstlers Ran Huber
  25. Mit Gitter zum Bild Burkhard Mönnich, Thomas Palme
  26. Ein Drehbuch für Silke Yilmaz Dwiezior
  27. Peter Fritz Infotage Gerhard Frommel
  28. Raumfahrt ’98 - zum Nutzen der Menschheit Frauke Gust
  29. Fotobearbeitung: Jan Timme Jan Timme
  30. SimSex Sven Barske
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  32. Kai Althoff Kai Althoff
  33. Stirbt der Mensch als Künstler - Teil 2 Dany Müller
  34. Foto Elke aus dem Moore Elke aus dem Moore
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