Kinderkommunismus

Die Barrikade

Die Barrikade in der Torstrasse 2001
Die Barrikade in der Torstrasse 2001

Die Barrikade war in vielleicht drei Minuten errichtet und in vielleicht 15 Minuten wieder entfernt. Wir hätten sie gerne institutionalisiert, schon allein wegen der plötzlichen Ruhe auf der Torstraße. Es war jedenfalls die erste Barrikade, die ich gesehen habe, und ich staunte, wie schnell sie errichtet wurde.

Von Spezialisten wurde sie eher geschmäht. Wegen ihrer strategischen Unwirksamkeit sei sie höchstens das Zitat einer Barrikade. Man hätte die Möbel aus den Häusern schleppen müssen. Barrikaden bis ins dritte Stockwerk! Bilder vor die Barrikaden!! Aber es ist erfreulich, dass die Barrikade überhaupt zitiert wird. Dass sich in Berlin diese öffentlichen Zeichen noch so schnell herstellen, wie ja auch das Steinewerfen hier in einer Selbstverständlichkeit passiert und Anwohner Müll auf die Polizei kippen, trotz Neuer Mitte, sogar in Mitte. Deren Lebensader, die Chausseestrasse, die Silicon Alley der Neuen Ökonomie, lag derweil ausgestorben wie nach einem Giftgasangriff. Hier war niemand aus dem Haus gekommen, um die vorbeiflanierenden Neonazis bei ihrer Demonstration zu betrachten. Diese gingen in Blocks mit Transparenten voller Provenienznachweisen aus ihren Gurkengemeinden und Schildern, auf denen eine Art großäugiges Pfadfinderkind abgebildet war, dessen Comicgroßvater kein Verbrecher gewesen sein soll. Ist eine Demonstration, die niemand sieht, öffentlich? Jedenfalls gehörte ihr die Straße, wie mir ein Polizist erklärte, den ich bat, mich durch den Zug zu bringen, was mir vorher von einigen Blockwarts verwehrt wurde. Für die Nazis war der einzige Gegner weit und breit McDonalds in der Friedrichstraße. Sinnigerweise hatten sich auch die 8 Gegendemonstranten, die bis zur Faschodemo vorgestoßen waren, in dessen Eingang zurückgezogen.

Mitte hatte sich in drei Teile geteilt, mit dem dritten Teil rund um Kunstwerke, wo abseits von Wasserwerfern und Steinen (Oranienburger Straße) und unangestrengtem Müßiggang (Friedrich- und Chausseestraße), eine Art Passauer Strassenfest organisiert wurde. Fußgängerzone mit Künstlerperformances gegen Rechts, für die Gesicht zeigenden Berliner Politiker, die sich an diesem Tag die neuen Verbrechen der Wehrmacht anschauten.

Es ist also keineswegs alles entschieden und es gibt auch keine Resignation. Es wird zur Zeit alles nur sehr stark auseinandergehalten. Teilweise so weit, dass sich die Fronten nicht mal zu Gesicht bekommen. Aber die Selbstverständlichkeit, der ein wenig müßigen Barrikade war trotzdem ein Zeichen oder ein Hinweis auf die zwar möglicherweise lächerliche, aber eben notwendige Arbeit an einem Gegenbild. Das ist vielleicht alles in einer Viertelstunde wieder beiseite geräumt, aber es ist eben auch in drei Minuten aufgebaut. Wenn man mal weiß, wie es geht.

Dirk Bell, Entwürfe für die Überschrift zu Kinderkommunismus, 2001
Starship 5: Zwei sind zu wenig - Cover Deborah Schamoni
  1. Editorial #5 Martin Ebner, Hans-Christian Dany, Ariane Müller
  2. Poem Mark van Yetter
  3. Zentralasiatisches Hochland – Gelände Friederike Clever
  4. Odessau Honey-Suckle Company, Simone Gilges, Zille Homma Hamid
  5. found artist N.Y. Jutta Koether
  6. Rudolf Leopold Porträt eines Sammlers Francesca Drechsler
  7. The great swindle of Neu Hans-Christian Dany
  8. Die Barrikade Ariane Müller
  9. Die Idee der Strasse ist vergessen worden Jesko Fezer
  10. Berlin Maps Shary Boyle
  11. moonboots Micah Magee
  12. Aus der Stadt Lina Launhardt, M.K.
  13. Civic Center Park Katrin Pesch
  14. Kristall. Christine Lemke
  15. O.T. (Odeon, Saint Honoré, Manfred Götzl Stilleuchten) Stefan Panhans
  16. displacement Daniel Pflumm
  17. The language monster Haytham El Wardany
  18. Eine Unterhaltung via E-Mail zwischen Haytham El Wardany und Ariane Müller, die zwischen Anfang September und November 2001 geführt wurde. Haytham El Wardany, Ariane Müller
  19. Impressum Starship 5 Ariane Müller, Martin Ebner, Hans-Christian Dany, Micah Magee, Stephanie Fezer
  20. In der Sicherheitszone Dorothée Klaus
  21. Die Nomaden des Kapitals Sebastian Lütgert
  22. 2001, Drawings Cristobal Lehyt
  23. A crack, not a boom Hans-Christian Dany
  24. speaking in tongues Natascha Sadr Haghighian
  25. Rio Helmut Battista
  26. Projekte und Existenzen Dietmar Dath, Barbara Kirchner, Stephanie Wurster
  27. Das Jahr 1979 findet noch statt Sabeth Buchmann
  28. Theorie der Sicherheit Carsten Zorn
  29. Was sind wichtige Momente eines Lebens? Biografische Stationen? Ariane Müller
  30. Früchte des Zorns Diana Mc Carty
  31. I won't be your mirror Sebastian Lütgert
  32. Psych-Out Ariane Beyn
  33. Kann ein Video-Mädchen lieben? Justin Hoffmann
  34. Krankheit Jugend Stefanie Fezer
  35. Das Double Eva Färber, Suse Weber
  36. Die sechsundvierzigste Minute der achten Stunde des elften Tages Ariane Müller
  37. Begriffsstudio Stephanie Fezer
  38. Hot Pot in Oslo Pierangelo Maset
  39. Plundered Florian Zeyfang
  40. Wels revisited Micah Magee
  41. Die Sonnenfinsternis im Norden hält an Nina Möntmann
  42. Get Rid of Yourself Bernadette Corporation, Le comité invisible
  43. "begin to think, about how we are to begin to begin" Klaus Weber
  44. Metallkrakenkrankenkanne Leichenroller Michaela Eichwald
  45. Motelhanoi Martin Ebner
  46. Cadaques Deborah Schamoni
  47. Rauchringe Christoph Keller, Jörg Keller
  48. straße Silke Nowak
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