Hot Pot in Oslo
Über die Fortsetzung chinesischer Kunst mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts
Der braunweiße Riffel-Kubus des Osloer Kunstnernes Hus liegt neben dem idyllischen Schlosspark, in dem Mette-Marit und Haakon nach ihrer asymmetrischen Trauung die eigenen Blicke fremden Apparaten anvertrauten. Hier ist 2001 von April bis August eine Ausstellung zu sehen gewesen, die den Namen des chinesischen Gerichtes verwendete, bei dem die am Essen Beteiligten das Mahl am Tisch zubereiten und die Ingredienzien nacheinander in einen Kessel geben.
Unter dem Titel „hot pot“ wurden 30 junge chinesische KünstlerInnen präsentiert. Diese Ausstellung war die erste, die in diesem Umfang in Europa stattfand und die leider nicht an andere Orte weiterwanderte. Inghild Karlsen und Per Gunnar Tverbakk sind im Oktober 2000 drei Wochen lang durch China gereist, um dort Künstler, Galeristen, Autoren und Kuratoren aufzusuchen. Die beiden Norweger fanden auf ihrer angesichts der Größe des Landes kurzen, aber treffsicheren Reise - bei der sie sich zumeist nicht als Kuratoren ausgaben - Kunst vor, die einiges übertrifft, was sich in den USA und Europa gegenwärtig um die Fortsetzung der Kunst mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts bemüht.
Die Verschränkung von exzellenter Aus-führung und originellen Ideen, bei gleichzeitiger Plünderung des methodischen Arsenals der Westkunst aus fernöstlicher Perspektive ist es, was „hot pot“ auszeichnet. Immer wieder sind in den vergangenen Jahren chinesische KünstlerInnen auf Kunstausstellungen im „Westen“ aufgefallen. Sie jedoch in der geballten Fassung an einem Ort zu erleben, macht deutlich, dass ein wesentliches Kapitel der Kunst des 21. Jahrhunderts im östlichsten Osten geschrieben werden wird. Wenn zu jeder größeren Ausstellung bisher globalisierungskorrekt zwei bis drei Asiaten gehörten, um die Kunstmarkt-Quote abzudecken, so kommt in absehbarer Zukunft Kunst aus Asien auf uns zu, die unsere Vorstellungen von und unsere Einstel- lungen zur Kunst beeinflussen wird. „hot pot“ war ein Vorbote hiervon.
Inghild Karlsen und Per Gunnar Tverbakk berichten in ihrem Katalogtext, dass sich die chinesische Kunstszene gegenwärtig rasant entwickelt. In den großen Städten gäbe es bereits Netze von Galerien, Venues und Zeitschriften, Künstlergruppen, akademische Anbindungen und die dazu ge-hörigen Lifestyle-Variationen. Das Ganze findet in einem Kontext statt, in dem die Traditionen, die zur Be- und Verarbeitung zur Verfügung stehen, einzigartig sind: China verfügt über eine jahrtausendealte symbolgeschichtliche Tradition, die direkt in die Brüche des 20. Jahrhunderts mündet, von der Kulturrevolution bis zur heutigen Öffnung zur Marktwirtschaft. Das westliche Zeichenarsenal kann heute importiert und es mit den ästhetischen Verfahren und Perspektiven der chinesischen Kultur bearbeitet werden. Hierdurch ist eine Situation entstanden, welche die künstlerische Produktion in Richtungen ermöglicht, die im Westen nicht oder nicht mehr praktizierbar sind und die eine enorme Vielfalt an künstlerischen Formen bewirkt hat. Im Katalog zu „hot pot“ wird deshalb betont, dass es unmöglich ist, die chinesische Gegenwartskunst zu verallgemeinern, da die Arbeitsweisen und Mentalitäten der KünstlerInnen zu different seien.
Eines der Hauptprobleme der gegenwärtigen Kunstproduktion besteht darin, noch materiale Objekte herstellen zu können, die der Fortsetzbarkeit von Kunst angesichts ihrer technologischen und diskursiven Immaterialisierung gerecht werden können. Kunst kann sich nicht mehr bruchlos an überlieferte Darstellungsweisen anschließen, da die Repräsentationskritik selbst zum wesentlichen Merkmal der Kunst geworden ist. Da sich aber Kunst immer auch auf Kunst und somit auf ihre eigene Tradition bezieht, besteht bei jeder künstlerischen Arbeit das Problem einer - darstellbaren - Verschränkung von Tradition und Innovation. Letztere kann dabei gerade in einer Minimaldifferenz bestehen, die der Überlieferung z.B. mittels einer besonderen Beobachtung abgewonnen wird, so wie das z.B. in der Appropriation Art praktiziert worden ist. Die Mehrheit der an „hot pot“ beteiligten KünstlerInnen gehen operativ von Appro-priationen aus. Es sind entweder solche der eigenen kulturellen Tradition oder Appropriationen von Elementen der Gegenwartskunst westlicher Prägung. Was dabei herausgekommen ist, sind dem westlichen Betrachter oft unverständliche Arbeiten, die nicht in unserer Beobachtungslogik aufgehen, die aber anziehend wirken, weil sie bekannte Elemente in einer fremden Perspektive präsentieren. Das eigene Beobachtungssystem wird herausgefordert, in dem Sinn, wie es einer der eingängigsten Sätze des Ulysses formuliert: „I will see what I can see“. Der Wille zum Sehen – nicht visuell gemeint – ist einer der maßgeblichen Faktoren für die „Permanenz der Kunst“.
Dieser Wille kommt in den Arbeiten von „hot pot“ deutlich zum Ausdruck. So bei Xu Zhen, einem Künstler aus Schanghai, der ein Video-Tryptichon („From inside the body“) erstellt hat, bei dem die Monitore rechts und links zunächst ein braunes Kunstledersofa zeigen, während eine männliche Person sich im mittleren Bild befindet. Der junge Mann beginnt sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen, wobei er seine Kleidung im linken Bild ablegt. Nun beginnt er mit teilweise akrobatischen Verrenkungen den eigenen Körper zu beriechen und mit seiner Nase an möglichst jede Stelle zu gelangen. Dieses Riechen ist für den Betrachter deutlich hörbar. Eine junge Frau tritt hinzu, die ihre Kleidung im rechten Monitor ablegt und mit der gleichen Prozedur beginnt. In Steigerung der Situation kommt es schließlich zu einer gegenseitigen Geruchs-Ermittlung, deren Intensität weniger mit einem erotischen Motiv bzw. einem pornografischen Setting als mit der dargestellten Erfahrung von Körpergrenzen zu tun hat, die der Betrachter „sehend“ miterleben kann.
Liang Shuo, der in Peking lebt, hat eine Skulpturengruppe von wartenden bis herumlungernden Personen in Anlehnung an die berühmte Terrakotta-Armee hergestellt. Der Anschluss an realistische Traditionen wird hier über heterogene Linien – die historische Terrakotta-Kunst und den maoistischen Realismus – hergestellt. Seine Figuren sind aber keine überhöhten Archetypen, sondern das Gegenteil, ihre Statik wirkt unsicher, da es sich um Ausgegrenzte oder solche an der Schwelle zur Ausgrenzung handelt.
Quing Quing, ebenfalls aus Peking, hat für ihre Performance „End of Century Ambiguousness“ ihre Kenntnis der klassischen chinesischen Medizin dazu verwendet, einem recht üppigen Schwein eine traditionelle Massage zu verabreichen. Das Video ist von Vaudeville-Musik unterlegt. Aus Huang Zhan hat die Künstlergruppe „Chinese Cartoon Generation Art Group“ teilgenommen. Sie hat innerhalb der Ausstellung einen Trash-Pop-Mix kombiniert, der Robert Morris und die Chapman-Brothers mit Micky-Maus- und Manga-Ästhetik kombiniert. Perfekte Simulationen werden hier mit Kaufhaus-Ready-mades zusammengestellt, ein ziemliches Spektakel, das formvollendet die gesamte Post-Pop Tradition aufführt. Diese Gruppe wurde das erste Mal außerhalb Chinas präsentiert.
Ganz anders Zhang Xiaogang, dessen melancholisch-luziden Gemälde auch schon auf der Biennale von Sao Paolo, Venedig und Brisbane zu sehen gewesen sind. Die großformatigen Porträts, deren Glätte an Computergrafiken erinnert, lassen die Gesichter nahezu im Raum stehen. Sie sind so nah wie fern und einfach schön. Zur bei „hot pot“ vertretenen Malerei könnte man noch einiges sagen, Xang Shaobins „blutige“ Portraits etwa, die einen deutlichen Bacon-Touch aufweisen, sollen hier noch erwähnt werden. Viele andere Künstlerinnen und Künstler und ihre eindrucksvollen Arbeiten sind hier nicht detailliert aufgeführt worden, z.B. Zeng Hao, Zhang Dali, Zhang Xin, Zhao Bandi, Zheng Gougou, Song Dong und Song Yongping, was schade und inhaltlich nicht gerechtfertigt ist.
Hier jedoch ging es um Reminiszenzen an eine Ausstellung, die es jetzt nicht mehr gibt, nach der sich aber die Frage aufdrängte: Wann und wo gab es zuletzt dermaßen viele gute Arbeiten zu sehen?