Klaut wie die Raben (Geistiges Eigentum)
Als Kind mochte ich die Bauern. Mir gefielen ihre klobigen Kabrios mit den verschieden großen Rädern. Gerne winkte ich ihnen auf der Strasse zu. Mit der Pubertät wuchs mein Misstrauen. Die Auftritte der Bauern im Fernsehen gefielen mir nicht. Wurde ihnen eine Kamera hingehalten, kippten sie ihre Ernte auf die Strasse. Der Nachrichtensprecher raunte dazu von unheimlichen Butterbergen. In der Wiederholung nervte das. Wie viele begann ich, die Bauern zu ignorieren.
Die Ergänzungen von Patent- und Urheberrechten geben aber Anlass sich parallele Entwicklungen, wie die Nachbaugebühren, in der Landwirtschaft genauer anzusehen. Nachbaugebühren nennt sich die deutsche Lösung des EU-Sortenrechts. Gedacht sind sie als Werkzeug um geistiges Eigentum für deren Besitzer optimaler zu verwerten.
Aus einer anderen Perspektive lässt sich sagen, mit den Nachbaugebühren wurde ein geistiges Eigentum erfunden, das es zuvor nicht gab. Plötzlich gab es Urheberrechte an Pflanzensorten und musste für deren Reproduktion bezahlt werden.
Die 2003 vom Europäischen Gerichtshof bestätigten Nachbaugebühren für Saatgut wurden wie so viele Versatzstücke der Neuen Weltordnung kurz nach Ende des Kalten Krieges in Gang gebracht. 1991 beschlossen die in der International Union for the Protection of New Varities of Plants (UPOV) organisierten Staaten und Unternehmen eine Gebührenpflicht für die Verwendung von Saatgut, das geschützten Sorten entsprang.
Praktisch heißt dies, für die Verwendung eines Teils der Ernte zur Wiederaussaat sollten die Bauern zukünftig bezahlen. Die aus selbstangebauten Pflanzen gewonnene Samen standen den Landwirten nicht mehr frei zur Verfügung. Sie wurden zum Datenträger und die Pflanzen quasi Rohling für das geistige Eigentum der Saatgut-Industrie.
Die Nachbaugebühren müssen anfangs so abwegig geklungen haben, dass kein Hahn danach krähte. Die Veränderungen der Besitzverhältnisse geistigen Eigentums an der Pflanzenwelt konnten ohne großen Widerspruch im Sinne der Saatgut-Industrie durchgesetzt werden. Inzwischen rührt sich Widerstand.
Die Diskussion um die Nachbaugebühren findet bisher eher am Rand der Debatten um Patent- und Urheberrechte statt, obwohl sie sich mit diesen in vielen Punkten überschneidet. Schon die Argumente der Saatgut-Industrie für die Berechtigung ihres Eigentumsanspruchs gleichen denen der Kultur-, Content- oder Pharma-Industrie: Die Akkumulation intellektueller Arbeit - die züchterische Leistung oder der Wert des Content, - sei durch den einmaligen Kauf einer Vorlage, die immer wieder kopiert werden könne, nicht abgegolten.
Die Kulturindustrie stimmt im Anschluss daran gern das Lied vom armen jungen Künstler oder Forscher an, der nicht mehr gefördert werden könnte. Die Saatgut-Industrie summt das Lied vom Verschwinden des jungen Samens. Und wie die Biotechnologie-Industrie, mit der sie sich in großen Teilen überschneidet, das vom zu fördernden jungen Forscher. Gern steht gleich der züchterische Fortschritt auf dem Spiel. Wer sich gegen die Lizenzgebühren für Saatgut stellt, wird auf immer die gleiche Kartoffel essen müssen. Gegen diese triste Zukunft hilft nur ein praktikableres Eigentumsrecht.
Dabei ist die Logik, stärker gesicherte Besitzverhältnisse würden der Vielfalt und dem Fortschritt dienen, wie beim Urheberrecht, mehr als fragwürdig. Bisher sieht es so aus, dass Konzerne zur Regulierung ihres Angebotes die Vielfalt der von ihnen "geschützten" Pflanzensorten an Seiten beschneiden. Ein Beispiel dafür ist die Politik des Saatgutherstellers Seminis: Das Traditionsunternehmen mit Zentrale in Kalifornien schwoll nach den Übernahmen zahlreicher Saatguthersteller, vor allem in Asien, Ende der neunziger Jahre zum Weltmarktführer. Anschließend straffte das Management die während der Fusionen zusammengeflickte Produkt-Palette. Dabei reduzierte sich das Angebot des Konzerns um ein Viertel. Konkret hieß dies, dass, wenn alle Seminis-Patente gewahrt worden wären, zweitausend Pflanzensorten in den letzten zwei Jahren aus der Wirklichkeit verschwunden wären.
Auch andere Versprechen liberalisierter Märkte, wie das der produktiven Konkurrenz scheinen sich durch die Regulierung geistigen Eigentums nicht einzulösen. Saatgut-Hersteller können sich durch die Einnahmen aus den Nachbaugebühren auf ihrem Angebots-Spektrum ausruhen und trotzdem ihre Position am Markt halten, statt die Vielfalt an Kulturpflanzen durch ständig verbessertes Saatgut zu erweitern und verbessern.
Hinzu kommt, dass sich das Marktgefüge weiterhin zugunsten der großen Konzerne verschiebt. Kleinere Saatgut-Hersteller können sich entweder gar keine oder nur regional beschränkte Patente leisten. Ihre interessanteren Produkte sind so dem Risiko ausgesetzt, von großen Anbietern für den internationalen Markt adaptiert zu werden. Hingegen haben die kleinen Anbieter zu dem durch Konzerne "geschützten" Bio-Material keinen freien Zugang. Hier entsteht eine Hierarchie des durch die finanziellen Möglichkeiten gestaffelten Zugangs zu juristischen Schutz. So gibt es in Europa kaum noch kleine und mittelständische Anbieter von Saatgut, dieses wird inzwischen nur noch von Konzernen angeboten.
Andere Dinge bleiben so wie sie immer waren: Eigentum führt dazu, dass dessen Besitzer sich bedroht fühlen und eine Verbesserung ihrer Sicherheit fordern. Je geistiger der Besitz wird, desto leichter scheint er entwendbar. Die Beute aus der Welt immaterieller Arbeit ist einfacher zu verstecken, als meinetwegen eine geklaute Lastwagenladung. Vom Schmuggel gestohlener Geisteswerte ganz zu schweigen - ein Datensatz, der mit Höchstgeschwindigkeit Grenzen überwindet. Für das Gros der Besitzer geistigen Eigentums heißt das in der Konsequenz, der Zugriff auf die Depots und Transportrouten potentieller Diebe müsse erleichtert werden.
Im Falle der Nachbaugebühren, immerhin noch ein recht sichtbares, sich im Raum verbreitendes geistiges Eigentum, stellten die Bauern bald fest, dass, obwohl es sich beim Sortenschutzrecht um einen Teil des Privatrechts handelt, den Eintreibern der Nachbaugebühren durch die Auskunftspflicht Eingriffsmöglichkeiten gegeben wurden, die denen staatlicher Organe gleichkommen. Gegenüber der privaten Verwertungsgesellschaft, einer Art deutschen Samencopyright namens Saatgut-Treuhandverwaltungs GMBH, besteht Auskunftspflicht. Wird dieser nicht nachgekommen, kann die Transparenz mit empfindlichen Geldstrafen erzwungen werden.
Viele Landwirte betrachten die Nachbaugebühren als Rückkehr zum Feudalismus, samt der Wiederkehr des Zehent. Dabei sind die Nachbaugebühren auf der Höhe der Zeit, haben die nächsten biotechnologischen Drehungen der Innovationsschraube zielsicher im Auge: mit dem Vehikel geistigen Eigentums eignen sich die Konzerne des Nordens so materiellen Ressourcen der Biodiversity-hotspots des Südens an. Die Rahmenbedingungen für diese Privatisierung gemeinschaftlichen Eigentums werden von Regierungen in den Metropolen geschaffen.
Geistiges Eigentum lässt sich inzwischen wohl am besten als etwas definieren, das in Form von Nullen und Einsen beschreibbar ist. Die entscheidende Frage scheint dabei zu sein, wer eine solche Beschreibung, sprich die Definition als Patent, bezahlen kann und sie eben als erster aufschreibt und anmeldet. Was dabei angeeignet wird, ist in der Masse kaum noch zu überblicken: die internationalen Patent-Anträge stiegen von 2600 im Jahre 1979 auf 104.000 im Jahr 2001. Wer mag, darf glauben, Innovation und Intellekt hätten sich in dieser Zeit potenziert. Die Ursache scheint vielmehr zu sein, dass die optimierten Technologien es inzwischen erlauben, schneller aufzuschreiben und mehr Aneignungen zu verwalten. Auch geht es innerhalb der dabei entstandenen Maschinerie oft weniger um geistiges Eigentum, als um geistige Aneignung.
Einzelne Aneignungen fallen bisher meist nur auf, wenn sich das Privatinteresse zu enthemmt gegenüber dem Eigentum der Allgemeinheit gebärdet. So versuchte der Biotechnologie-Konzern DuPont beim europäischen Patentamt, Qualitätsmais mit einem Ölgehalt von mehr als 6% und einem Ölsäuregehalt von mindestens 55% anzumelden. Das Patent der Firma mit dem Slogan `The Miracles of Science´ sollte alle Mais-Anpflanzungen betreffen, auf die diese Kriterien zutreffen, unabhängig davon, ob jemals Saatgut von DuPont dabei zur Verwendung kam oder nicht. In der Konsequenz hätte dies bedeutet, dass rund ein Drittel der Mais anpflanzenden Bauern in Europa Lizenzgebühren an DuPont zahlen müssten. Gezahlt hätten auch Importeure aus anderen Kontinenten, die wie in Mexiko ihre Methode schon seit Hunderten von Jahren von Generation zu Generation weitergeben.
Anders ist die Situation zwangsläufig bei bisher wenig oder unbekannten Pflanzen und Technologien. So sind bisher gerade einmal 5% der vierhunderttausend bekannten Pflanzenarten systematisch auf ihre pharmakologische Wirkung hin untersucht worden. Die privaten Übernahmen dieser natürlichen Ressourcen durch die Verknüpfung mit einer Technologie machen einen nicht unerheblichen Teil des Patentierungs-Booms aus. Niemand kann es sich leisten, gegen die Fülle an Patent-Anträgen juristisch vorzugehen.
Die World Intellectual Property Organisation (WIPO) verweist gern auf ihre Berner Konvention von 1886 zum Schutz von literarischen und künstlerischen Werken. Dabei möchte man aus heutiger Perspektive fast glauben, diese sei nur ein Feigenblatt für die drei Jahre ältere Pariser Konvention aus dem Jahre 1883 zum Schutz von geistigem Eigentum im industriellen Bereich gewesen.
Es gab aus gutem Grund in Deutschland seit dem Ende des Dritten Reiches einen gesellschaftlichen Konsens darüber, nur im Zusammenhang mit Kapital-Verbrechen zur Denunziation aufzurufen. Dieses ungeschriebene Gesetz ist mit der neuen Dringlichkeit des Schutzes geistigen Eigentums verschwunden.
Mit Blick auf die Nachbaugebühren sollte die Entschlossenheit bei der Durchführung von bizarr klingenden Gesetzen nicht unterschätzt werden.
Man könnte die Ergänzungen des Urheberrechts, wie das Umgehungsverbot von Kopierschutztechniken, als in der Breite undurchführbare Gesetze betrachten. Doch verkennt dies, dass die Methodik der Kontrollgesellschaft vor allem Instrumente für den punktuellen Zugriff benötigt.
Obwohl mit dem Umgehungsverbot von Kopierschutztechniken das Recht, im Internet und anderen digitalen Medien eine begrenzte Anzahl von Kopien für den privaten Gebrauch herzustellen, zur Disposition steht, gibt es zumeist nur eine verhaltene Position der Kleinstanbieter geistigen Eigentums, Journalisten, Programmierer, Autoren, Musiker oder Künstler.
Dies erklärt sich zum Teil dadurch, dass diese ihre Wertschöpfung an der eigenen Arbeit sichern wollen. Das heißt, Möglichkeiten zu haben, ihre Produktion immaterieller Arbeit in monetären Wert umzusetzen. Deshalb steht ihre Argumentation oft nur in einem geringen Widerspruch zu den großen Content-Anbietern.
Moniert wird gerade mal, dass sich die Priorität von der Zugänglichkeit des Wissen als Voraussetzung für die Partizipation an der Informationsgesellschaft, weiter zu den Abschöpfungsmöglichkeiten dieser Zugänge verschiebt, thematisiert wird auch der Widerspruch zwischen dem Anspruch auf geistiges Eigentum und der Verpflichtung gegenüber einem kulturellen Erbe.
Dabei sieht es fast so aus, als ob, wer momentan als Kleinstproduzent für die Verbesserung seiner Rechte, einen besseren Schutz seines geistigen Eigentums einfordert, einen Diskurs der optimierten Fremdverwertung seiner eigenen Arbeitsleistung legitimiert. Zum Dank erhält er von seiner Verwertungsgesellschaft Summen aus der Portokasse, von denen ein Teil quasi für das Saatgut - die immateriellen Rohstoffe für weitere Produktion - zurückgezahlt werden muss.
Zum Glück träumen die meisten Musiker von ihrem Hit, schweigen die Autoren lieber über das, was sie von ihren Verwertungsgesellschaften erhalten, existieren bildende Künstler aufgrund von Subventionsökonomien.
Hartnäckig hält sich das Gerücht, es könne beim Reibach mitgemacht werden und mit Blick bis zum Gartenzaun werden die eigenen Verwertungsgesellschaften renoviert. Normalisiert wird mit diesem Reihenhausdiskurs aber vor allem eine Inwertsetzung der genetischen Ressourcen, sowie die Exekutivmittel der Kontrollgesellschaft. Weshalb es vielmehr um eine radikale Infragestellung des Anspruchs auf geistiges Eigentums gehen müsste.