An die inneren und äusseren Ruinenlandschaften
Das Wesen einer Ruine besteht bekanntlich darin, der Überrest von einer Architektur zu sein, die durch eine Veränderung der äusseren oder inneren Umstände bewegt wurde - meistens sind diese Bewegungen zurückzuführen auf sowas wie Zeit, Krieg, Unwetter, Planungsfehler, Geldflüsse, die eine andere Richtung, um die angefangene Architektur herum, nehmen oder schlichter: durch Gleichgültigkeit der Architektur gegenüber.
In Potsdam steht auch eine Ruinenarchitektur auf einem Hügel beim Schloss. Ihr Aufgabe besteht darin, den Ort zu markieren, an dem es für den Spaziergänger möglich ist, Kontemplation zu üben. Kontemplation wiederum ist nötig, um den eigenen und kollektiven Erkenntnisstand zu erweitern. Die Ruinenarchitektur ist ganz im Denken einer romantischen Landschaftsgestaltung errichtet, eine Ruine nach griechischem Vorbild, wie ich vermuten darf. Wäre diese Architektur komplett und nicht kaputt, also angenommen, das wäre überhaupt irgendwann mal nicht als Ruine gedacht gewesen, dann wäre sie ein Tempel. Das Puzzelspiel ist einfach an den umgestürzten Säulen anzufangen. Da sie aber nun mal als Ruine gemacht ist, diese Architektur, ist sie eben auch nicht kaputt, sondern komplett und nur als Zeichen zur Erinnerung an einen Tempel zu verstehen.
Eben diese Ruinenlandschaft wurde vor einiger Zeit renoviert. Natürlich liegt die Frage nahe: wie wird wohl eine Ruinenlandschaft aussehen, nach einer Renovierung? Vermutlich genau wie vorher.-Es geht darum, die Steine zu sichern, die der Grund für die künstlich umgekippten Säulen sind, damit die sich unter der Last der kontemplationssuchenden Besucher nicht auch noch bewegen und alles ins Chaos reissen. Ich nehme also an, dass es um die Betonierung der Ruinenlandschaft geht, darum, Sicherheit aufrecht zu erhalten.
Als Betonierungsversuche könnte man vielleicht auch die Förderpolitik bezeichnen, die den politischen Projekten im Umfeld von Kunst in den letzten zwei Jahren speziell in Berlin zu Gute kam. Es wäre eine komplett danebene, neo-liberale Falle, das Prekäre der finanziellen Situation zu beschönigen, das all die Projekte und die angeschlossenen Subjekte bedroht und genervt hat. Es ist existentiell notwendig, mit Geld zu rechnen - und das im zunehmendem Masse. Nach wie vor: her mit Geld.
Die Ruinenlandschaft mit dem angeblichen Überblick steht für mich in diesem Fall an einer anderen Stelle: Ich glaube nämlich eine gewisse Melancholie beobachten zu können, die weniger bei den nun geförderten Produzentinnen (diese sind ja mehr als beschäftigt) als vielmehr bei den KonsumentInnen, also bei dem angesprochenen Publikum selbst (das ja wiederum nicht selten dazu aufgerufen ist gerade eben mitzumachen), im Zuge dieser Projekte wirksam zu werden scheint. Wenn ich nach einem möglichen Grund suche für diese Melancholieform, so auch hier ausserhalb der Paradigemen: "das ist gut" oder "das ist schade".
Eine Melancholieform war zum Beispiel anwesend bei der A-clip Staffel Drei, einem Projekt in dem es in erster Linie darum geht, explizit politische Themen in Clipform zu packen und diese anschliessend im Werbeblock der Kinos zu lancieren - eingeladen hierzu waren 2003 so viele wie möglich und die kamen auch. Interessanterweise galt es bei jedem der drei A-Clip Versuche einen mini-gemeinsamen-Konsens zu einer möglichen politischen Richtung zu diskutieren, die dieses Projekt einnehmen könnte, oder einfacher noch, ein Thema zu finden, an dem man gemeinsam forscht oder arbeitet, und für einen kurzen Zeitraum im gemeinsamen Leben der Projekte, eine, sagen wir eher "verschlossene" Gesprächsrunde damit zu konfrontieren.
Nun könnte man ja vermuten, dass man inmitten eines Gegen- (Publikum, Mitproduzententum etc.) sitzt. Zum Beispiel ein Gegen- das dieser Art von Intervention angesichts der zunehmenden Social-Spots auf Webetafeln und im Vorprogrammm der Kinos einfach keine Aussagekraft zutraut und deswegen hört es sich erstmal alles an und macht dann aber nicht mit. Oder ein Gegen- viel grundsätzlicherer Natur, ein Punk-Gegen, das Motivationbemühungen und Engagement per se verschmäht und sich deswegen gelangweilt gibt, nicht zurückspielt oder fernbleibt. Solche Gegen- gab es meiner Beobachtung nach eigentlich nicht. Es blieben die meisten (interessanterweise - denn derartig verschlossene Situationen sind ja nicht gerade leicht auszuhalten) und es gab darüberhinaus sehr viele A- Clips.
Die diskursive Ebene über die politischen Möglichkeiten oder Grenzen solcher gemeinschaftlicher Produktionen bildete das Fundament dieser unbestimmten gehemmten oder eben bestimmt melancholischen Stimmung - melancholisch deswegen, weil man feststellen konnte, dass wir Beteiligten gut informiert waren, eben zum Beispiel in politischer Hinsicht, gleichzeitig aber bei jedem Versuch der ausgesprochenen Aneignung von politischen Aussagen betont unberührt blieben, und das meine ich wörtlich, da distanzierte Körpersprachen - verträumte Blicke in die Unendlichkeit oder in das Erdinnere - sich so vermittelten. Es lässt sich dementsprechend vermuten, dass wir gerade nicht im Glauben sind (oder nicht in der Stimmung), eben dieses eigene Wissen als allgemeingültig zu behaupten und dafür zu streiten.
Wenn ich mit meiner Beobachtung richtig liegen sollte, dann gab es neben den beiden bereits erprobten Haltungen: agitierende Aussagen nerven sowieso (da schwarz-weiss, schulmeisterlich, ausschliessend, kreativitätsbremsend etc...) und, dieser gegenüberliegend die nachdrückliche Ansicht, dass Agitation die Basis des Projektes ist und ausgesprochener Grund für die kulturelle Bemühung, als dritte Haltung die, dass man politische Inhalte in so einem Format sowieso "gut", gleichzeitig aber "egal" findet. Dabei stellte ich fest, dass dieses Wissen um "egal" nicht "Ignoranz" meint, sondern "Fernsein von Veränderungsphantasien". Irgndwie hatte ich den Eindruck, als entsprang dieses "egal" der Vorahnung, dass wir mit diesem Projekt möglicherweise nicht den zum Beispiel Irakkrieg verhindern werden können oder umgekehrt die imaginäre "bessere" Weltordnung stützen.
Die entstandene Entfernung durch das Wissen um "egal", schloss eine Lust an diskursivem Ausstausch aus, da man die Grenzen in den Vordergrund rückt, die diesem ausgedrückte Wissen zwangsläufig in zum Beispiel machtpolitischer Hinsicht zu konfrontieren hätte - den Irakkrieg eben zum Beispiel oder die vorgestellte, andere Ordnung.
An dieser Stelle sei mit Erstaunen zu bemerken: wenn das Wesen einer melancholische Haltung zum Beispiel darin zum Ausdruck kommt, dass es sich von einer ignoranten Haltung unterscheidet, weil sie eben Komplexität nicht verneint, umgekehrt aber die Grenzen eines solchen Wissens in Bezug auf dessen Anwendbarkeit in den Vordergrund rückt, dann bedeutet eine solche Haltung noch lange nicht, dass sie die grösste Entfernung zur Produktion von Dingen sucht.
Mit einer melancholischen Selbstentwurf lässt sich tatsächlich viel herstellen. Er bricht den Kontakt zur Objektwelt nicht ab. Dabei wird der unaufhörliche und unauflösbaren Streit um das jeweilige, unvereinbare Wertesystem (mir bekannt auch aus zum Beispiel den familiären Sphären) durch den Rückzug auf das Selbst ausgesetzt. Melancholische Haltungen scheinen also ein gutes Schutzschild und eine wirksame Methode zu sein, der Confession zu entgehen. Ich denke hier an jene Bekenntnisse, die einem erfahrungsgemäss nur Enttäuschungen oder Ärger einbringen. Sowas wie: ja Papi, ich bin: drogenabhänig, linksextrem, pleite, verliebt usw..... Auf die quälenden Fragen nach dem Grund für das eben So-Sein (das "anders-ticken"), für den Standpunkt, für den Sinn der Produktion, für die sich daraus ergebende Starre im Verhältnis zum Gegenüber, jetzt eben statt Bekenntnis oder Lüge (weil die gibt es ja auch noch) leere Blicke, Rückzug, plus dann aber gerade trotzdem Verliebtsein, im Drogengenuss, Selbstermächtigung anders zu sein usw.. Da fallen mir die beeindruckenden Gesten der Jugendlichen ein. Die leeren und gleichzeitig überwachen Augenpaare, die auf der Strasse durch mich durchschauen und kalter Rauch einer tief inhalierten Zigarette, der mir dabei entgegen geblasen wird. Im Hintergrundgewitter höre ich dann leise weiter die genussvolle Ambivalenz von Selbstermächtigung und Selbstbeschädigung grollen.
Wenn ich nochmal über das Ding mit der absichtlichen Ruinenlandschaft nachdenke, dann kommen mir die melancholischen Bilddarstellungen und Haltungen, die mich in den Kunstzusammenhängen dieser Tage geradezu kolonialisieren, von deren Konzeption nicht so weit entfernt vor.
Während die vielschichtigen Dekonstruktionsbemühungen an der Moderne das ganze Gebilde bereits ganzschön in´s Wanken gebracht hatten, wird diese gerade als Ruine bestimmt, um genau hier im umgekippten Säulenpark rumzulaufen und Sachen zu machen (stilisierte Lagerfeuer, Freundschaftskonzepte, Lieder, Landschaften). Kontemplation als eine mögliche Produktionsästhtetik kann dabei gegen die Kritik- und Negationsbemühungen in den Vordergrund rücken, ohne so gefährlich irgendwas weiter in ein Chaos zu reiten. Irgendwie ist das eine sehr eindrückliche Methode, Veränderungen ohne Veränderungen zu machen (was ja eine der ehrgeizigsten Bemühungen dieser Zeit ist, oder warum unterscheiden sich die SPD und CDU Plakate, die dieser Tage die Strassen säumen, sonst so wenig).
Was wäre denn jetzt eigentlich, wenn sich die Ruinenlandschaften wirklich weiter bewegen würden - aber darin liegt wahrscheinlich die Ambivalenz der melancholischen Haltung, schliesslich liegt jetzt ja alles so um einen rum, so nah so fern.