Zwischennutzung
Gesucht werden kostengünstige, flexible und innovative Zwischennutzungen, die eine künftige Bebauung oder die Umsetzung gewandelter Nutzungsansprüche nicht verhindern.
(aus der Abschlusskonferenz des Forschungsprojekts "Zwischennutzung und neue Freiflächen - Städtische Lebensräume der Zukunft", Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung)
Starship ist in so etwas gezogen, in einen städtischen Lebensraum der Zukunft, in eine Zwischennutzung, und seitdem wir nun unseren Zwischennutzungsmietvertrag unterzeichnet haben, starrt mich dieses Wort an, als sollte es mir etwas über das gesamte Leben in Berlin erzählen oder in Deutschland. Die wievielte Zwischennutzung ist das nun, in der ich bin, seitdem ich in Berlin bin, ich weiß es nicht.
Worüber ich hier schreiben will, ist nicht Gentrifizierung, also jener Prozess, der üblicherweise Kulturschaffenden in die Schuhe geschoben wird, die neue Orte in der Stadt für Investoren erschließen, weil sie sie zuerst wegen billiger Mieten für sich entdecken und durch bloße nette bürgerliche Anwesenheit aufwerten, bis sie vom Anstieg der Mietpreise wieder vertrieben werden. Nein, Zwischennutzung ist etwas anderes. Bei Gentrifizierung hatte man ja noch eine sozusagen aktive Rolle, wenn auch die des Bösen. Der durch die Gentrifizierung beschriebene Prozess anerkannte, dass diese zunächst angeeigneten Orte vorher nichts wert waren und dass hier aktiv Leute Wertschöpfungsprozesse betrieben. Keiner kam auf die Idee, anzunehmen, dass die heruntergekommene Etage mehr wert sei, als man für diesen Ort bezahlen musste. Da war eher einer froh, einen Blöden gefunden zu haben, der zumindest das Loch beheizte. Man zog dahin, weil's da eben billig war, und das, weil aufgrund der Gegebenheiten mit diesen Orten nichts anzufangen war.
Als wir 1995 in ein verlassenes Erdgeschoßgeschäft einzogen, das keine Toilette und keine Öfen hatte und dessen Wände noch anscheinend kriegsbedingte Maschinengewehreinschüsse aufwiesen, hätte kein Mensch dafür mehr gezahlt als wir. Und nachdem es ja anscheinend keinen Wunsch gab, diese Räume der Bevölkerung zu überlassen, hat man versucht, sie zu vermieten, und das Gedränge, solche Räume zu mieten, war abzusehenderweise gering, waren da doch nebenan gleich noch so welche.
Das war vor zehn Jahren, und wenn wir heute in einen Altbau von 1975 einziehen, dessen gesamte Ladenzeile leer steht, in dessen Treppenhaus es nach Pisse riecht und wo man über drei Hunde steigen muss, um die Haustür zu öffnen, während gerade weitere den Müll durchstöbern, habe ich auch nicht den Eindruck, einer Anwaltsfirma die Quadratmeter vor der Nase weggeschnappt zu haben. Nun, anyway, es heißt Zwischennutzung und es heißt beim zwangzigstenmal immer noch Zwischennutzung, als wären wir die einzigen, die mitbekommen haben, dass nach unserem Auszug sich nie wieder einer fand, der sie gemietet hat, unsere Zwischennutzung.
Ok, ich habe verstanden. Es soll nicht etwas über den Raum sagen, es soll uns etwas über uns sagen. Nicht der Raum wird zwischengenutzt, nein, wir sind die Zwischennutzung vor der richtigen Nutzung, das Ding vor dem richtigen Ding.
Lange Zeit war das Eingehen auf Mietverträge, die als Zwischennutzung deklariert waren, eine Art stillschweigende Wiederaufbaukomplizenschaft. Wir nahmen die heruntergekommenen Orte, als kriegten wir etwas geschenkt, richteten sie ein, ließen uns als lebendiger Teil von Berlin für den Reiseführer fotografieren, und da man wusste, dass man auch wieder ausziehen würde, wurde die Zwischennutzung fast zum selbstgewählten Begriff. Langsam wird diese stadtplanerische Selbsttäuschung aber zur Beleidigung. Wer soll denn dieses richtige Ding sein, für das alle diese Flächen freigehalten werden sollen?
Als wäre nicht die Realität dessen, der sich überhaupt noch an der Produktion gesellschaftlichen Raums, zum Beispiel durch das Mieten von Räumen, beteiligt, einfach auch die Realität der Stadt. Und als hieße das nicht, anzuerkennen, dass die Stadt sich eben nicht durch Berliner-Bank-Filialen realisiert (oder Karstadt, Opel-Filialen, you name it), die im eigentlichen Wortsinn Zwischennutzungen dargestellt haben, seit diese Orte nun auch zu den schwer vermietbaren Flächen zählen, sondern in denen, die sich an ihr durch ihre Benützung beteiligen.
Genau die Definition, dass das, was man tut, den Platz bloß für andere Nutzungen, mögliche prospektive Zukunften, offen halten soll, keinerlei eigene Definition außer eines Dazwischen aufbauen soll, ist Teil der strukturellen Vernachlässigung eines produktiven Feldes und eine grundlegende Respektlosigkeit. Strukturell, weil nie der Eindruck entstehen soll, diese nicht eindeutig kapitalisierbare, über andere Intentionen aufgebaute Nutzung sei die reale Nutzung dieser Stadt. Stattdessen wird so getan, als ließe man sie zu, als gäbe es dahinter eine festgebaute Wand des Realen, das diese Entscheidungen trifft. Eine Autorität, die jemanden zulässt, die etwas erlaubt, in einem genau definierten Zwischen, mit der Festschreibung, dass es sich nie realisieren wird.
Die Obszönität dieses Autoritätsproblems dieser Stadt wird aber dann so augenfällig, wenn ihre wirkliche Zwischennutzung, nämlich die auf sieben Jahre angelegte Zwischennutzung der Stadt durch einen Sammler, der einer dieser 20 Familien angehört, die ihren Namen, sei es durch das Emblematisieren einer gesellschaftspolitischen Entscheidung der Entsolidarisierung oder sei es durch das Anlegen seines Vermögens in Sonderwirtschaftszonen, unbedingt hochzuhalten wünschen, hier eben als wirklich großer Gewinn für die Stadt abgefeiert wird. Ja, 100 Familien und 100.000 Bedienstete, so hat Stendhal einmal Wien beschrieben. Die Herrschaftsgeste dieser Familien im Jetzt und Hier ist diese Sprache, in der tausende Demonstranten den Namen des einen und hunderte Künstler den Namen des anderen bedienen. Und wo wir auf der anderen Seite noch nicht mal mieten dürfen, sondern bloß zwischennutzen.