Diedrich Diedrichsen (2)
Doch so wie man mit der denotativen Komponente von Photographie, der allgemeinen Einigung darüber, daß jeder auf einem Foto abgebildete Mensch einem empirischen, sterblichen Menschen entspricht, Soziologie betreiben kann, so kann man das Zustandekommen und Leben mit dieser Konvention auch phänomenologisch betrachten. Entscheidende Traktate der Theorie der Photographie definieren sie als Möglichkeit der Kommunikation mit den Toten, "in die Augen zu sehen, die den Kaiser gesehen haben" - wie Roland Barthes notierte, als er eine Photographie von Napoleons Bruder ansah. Den Phänomenologen interessiert u.a., was daraus, daß wir Tote und vergangene Zeiten als und wie Lebende auf Photographien ansehen können, einerseits für unsere generelle Wahrnehmung, andererseits für die Produktion von Photographie folgt. Heute ist nun diese zumindest einseitige
Kommunikation mit den Toten und mit den Lebenden als zukünftigen Toten
empfindlich gestört. Die Brücke von sterblicher Person und relativ
unsterblicher Abbildung muß erst durch Vergegenwärtigungen mühsam wiederhergestellt
werden. Deren mit Innigkeit verknüpfte Mühseligkeit fühlt sich ungefähr
so an, wie es sich früher angefühlt haben muß, auf religiösen Genrebildern
biblische Geschichte oder gar den religiösen Gehalt selbst wiederzuerkennen
und sich als frommer Mensch zu vergegenwärtigen, daß man z.B. Jesus sieht
und von ihm gesehen wird. |
Es ist vor allem ein besonderes Bewußtsein von der spezifischen Unwiederbringlichkeit, Vergänglichkeit und dem besonderen Wert einer Eigenschaft eines Sterblichen vonnöten, um sich wieder in diesen verwunderten Zustand zu versetzen, wo man empfänglich ist für das Gefühl, eine Grenze zu überschreiten, deren Überschreitung den Lebenden nie gestattet war. Das ist also das lebende Gesicht eines mittlerweile toten Menschen. Roland Barthes hatte dafür als Ausgangspunkt Photographien seiner toten Mutter. Bei den beiden Fotobüchern, um die es hier geht, ist auch für dieses Bewußtsein gesorgt. Das ist leichter anhand des zweiten Beispiels beschrieben, am Beispiel des Buches, das Jörg Schlick, Peter Weibel und Wolfgang Bauer in Erinnerung an Martin Kippenberger veröffentlicht haben. Jeder, der Kippenberger gekannt hat, besteht in der
Regel darauf, daß es neben seinen offiziell als "Werke" kenntlich gemachten
bildkünstlerischen Produkten, gesicherten Interventionen und den reichlich
kursierenden Anekdoten noch eine andere Ebene gegeben habe, die man gekannt
haben muß, um seine gesamte Arbeit zu verstehen.
Ganzen Text lesen ? Hier herunterladen.
|