Gespräch G.Karamustafa / Ayse Öncü

Die Istanbuler Künstlerin Gülsün Karamustafa hat sich für die Ausstellung money nations in der Shedhalle in Zürich mit gesellschaftlichen Auswirkungen globalisierter Wirtschafts-zusammenhänge beschäftigt. Das Gespräch mit der Ökonomin AYSE ÖNCÜ hat sie im Rahmen dieser Ausstellung geführt.

GÜLSÜN KARAMUSTAFA: Bei meiner ersten Frage dreht es sich um das Thema, das Sie in Ihrem Buch: "Space, Culture and Power" untersuchen. Im Wissen, daß es sich dabei um ein riesiges Feld handelt, könnten Sie dennoch kurz zusammenfassen, wie der Prozeß "sich verändernder Identitäten" in globalisierenden Städten aussieht?

AYSE ÖNCÜ: Das Faszinierende an Globalisierungsprozessen im kulturellen Kontext ist, daß es scheint, man könne zwei Prozesse simultan beobachten. Einerseits gibt es eine Invasion globaler Zeichen, Symbole, Icons und anscheinend allgemein verständlicher Worte, gleichzeitig werden sie von verschiedenen Gruppen und Communities ganz verschieden übernommen und verwendet, sodaß wir, statt in einen Prozeß der Homogenisierung, in eine kulturelle Hybridisierung geraten, in eine Multiplizierung des Hybriden. Mich interessiert daran vor allem Folgendes:

Wie werden Elemente einer globalen Kultur der Konsumtion durch ortsansässige Kulturen auf einem lokalen Niveau angeeignet und mit diesen vermischt? Es scheint, diese Prozesse werden sowohl dazu verwendet, alte kulturelle Identitäten wieder zu stärken, aber auch um neue kulturelle Identitäten zu finden. Jedenfalls wird die Frage der Identität verstärkt mit Konsumtion verknüpft. Waren sind darin nicht nur Gebrauchsgüter. Sie sind genauso symbolische Markierungen, die in verschiedenen Kombinationen und Vorgehensweisen verwendet werden, um Identitäten zu definieren. Grenzen der Identität werden zunehmend über symbolische Konsumtion markiert, verhandelt und verteidigt, auch wenn das meines Erachtens ein sehr vages Feld ist.

G.K.: Jetzt kommen wir nach Istanbul. Können wir in Istanbul, einer Stadt von 15 Mio EinwohnerInnen, wo wir es mit ständigen Auseinandersetzungen um Machtstrukturen und Kämpfen um kulturelle Identitäten zu tun haben, von der Wiederentdeckung des Islams und seiner Verbindung zur Globalisierung sprechen?

A.Ö.: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, einen Versuch der Verbindung zwischen der zunehmenden Sichtbarkeit des Islams in Istanbul und der Komplexität der Veränderung, die wir Globalisierung nennen, herzustellen. Ein Aspekt ist sicherlich die zunehmende Bedeutung einer islamischen Mittelschicht. Diese sich vergrößernde islamische Mittelschicht definiert sich über Abgrenzungen von einer "säkularen" Mittelschicht. Es gibt z.B. eine islamische Modeindustrie, die nahezu ausschließlich an mittlere oder gehobene Einkommensschichten liefert.

Bei verschwenderischen islamischen Hochzeitsfeiern in Fünf-Sterne Hotels kann man die jeweils letzte islamische Modeströmung beobachten. Der Hauptunterschied ist, daß es keinen Alkohol gibt und parallel zur bürgerlichen Trauung eine religiöse Zeremonie stattfindet. Nach oben mobile Familien, die sich selbst als islamisch definieren, sind nun häufiger an Konsumorten anzutreffen, die früher eher von säkularen Mittelstandsfamilien besucht wurden, Restaurants, Hotels, Ferienressorts. Dadurch wird der Islam immer sichtbarer. Es gibt islamische Fernsehstationen, genauso wie Tageszeitungen oder Frauenzeitschriften. Ein islamischer Wirtschaftssektor ist entstanden.

Die Grenzen dessen, was einen islamischen Lebensstil in einer modernen Konsumgesellschaft ausmachen, werden verhandelt. Das meine ich mit einer neuen Sichtbarkeit des Islams. Er ist jetzt kein Kleinstadtphänomen mehr. Was wir beobachten, ist ein verstärkter Einfluß des Islams auf die kollektive Identität nach oben mobiler Familien in Istanbul. Ich bin mir nicht sicher, ob wir das eine neue kulturelle Identität nennen können, aber es steht auf eine neue Weise im Vordergrund der modernen Konsumgesellschaft.